Im Thekenraum sieht noch alles so aus wie damals. Damals, als die Versmolder Tennisspieler des TC Blau-Weiß sich nach dem Match in ihrer Vereinskneipe ein Bierchen genehmigten. Gemütlich-rustikal. Der Blick durch die Scheibe aber ist ein völlig anderer geworden. Dort, wo bis vor drei Jahren die gelben Filzbälle übers Netz flogen, befinden sich heute in der knapp 3000 Quadratmeter großen Halle Hochregallager.
Ein Teil des früheren Gastraums ist ebenso bereits einem modernen Bürotrakt gewichen – der verbliebene Bereich, der zurzeit mangels Alternative als Besprechungsraum dient, wird es demnächst tun. Fred Seidel, Chef der S & O Handelsgesellschaft mbH, die ihren Hauptsitz an der Speckstraße 3 hat, steht vor der größten Einzelinvestition in der noch jungen, aber erfolgreichen Geschichte seines Unternehmens. Noch in diesem Jahr wird für eine halbe Million Euro ein weiterer Bürotrakt gebaut. Mit dem geplanten Kauf des benachbarten Grundstücks, auf dem zurzeit die Außenplätze des Tennisclubs sind (wir berichteten), sichert der 47-jährige Geschäftsmann sich zudem Erweiterungsmöglichkeiten.
Die S & O Handelsgesellschaft gibt es seit zehn Jahren.
2008 kaufte Geschäftsführer Fred Seidel die erste Halle an der Berliner Straße, um Lagerkapazitäten zu schaffen. Er mietete drei weitere Hallen an, bevor er sich 2014 zum Kauf der Tennishalle an der Speckstraße entschied.
Die Mitarbeiterzahl hat sich seit 2013 mehr als verdoppelt. Heute sind 45 Kräfte bei S & O beschäftigt.
Etwa 5000 verschiedene Artikel umfasst das Sortiment.
Mit der genauen Umsatzzahl hält sich Fred Seidel bedeckt, spricht aber von einem jährlichen Wachstum zuletzt in Höhe von 30 Prozent.

20 000 Pakete gehen pro Monat auf Reise
Dass sich sein Betrieb einmal in dieser Form entwickeln würde, hätte Fred Seidel nicht gedacht. Seit inzwischen 26 Jahren ist der Versmolder selbstständig – zunächst im Montagebau, anschließend lange Zeit als Tischler mit einem kleinen Handwerksbetrieb. Mit dem Onlinehandel kam er eher zufällig in Kontakt, als er das Lager einer Küchenmöbelfirma günstig aufkaufte und feststellte, dass er selbst für seine Arbeit nur einen geringen Teil der Artikel benötigte. Den Rest bot Seidel ganz klassisch über Ebay-Kleinanzeigen an – und merkte schnell, dass es offenbar Bedarf an Küchenmöbelzubehör gibt. „Ich bin da so reingerutscht", sagt Seidel heute zu den Anfängen.

Tagsüber arbeitete er in der Tischlerei, nach Feierabend saß er am Rechner. Der Handel mit Möbelbeschlägen für Privatkunden nahm stetig zu, so dass sich Fred Seidel und seine Ehefrau Petra dazu entschieden, die Tischlerei aufzugeben und sich auf das neue, deutlich lukrativere Geschäftsfeld zu konzentrieren.
„Die Kategorie Baumarkt gab es bis dato bei Amazon nicht", beschreibt Frank Deutschmann, seit 2013 Mitglied der Geschäftsleitung, jene Nische, die Seidel damals auftat. Das Angebot an Scharnieren, Zargen, Griffen und Co. im Baumarkt um die Ecke sei überschaubar, weil dieser nicht sämtliche Modelle vorrätig halten könne. Online aber geht das. Die Menge, die täglich per Klick deutschland- und europaweit an die Kunden verkauft wird, machts.
20 000 Bestellungen werden inzwischen pro Monat an der Speckstraße abgewickelt. Im Winter mehr, im Frühjahr mit Beginn der Garten- und Urlaubssaison weniger. Der Onlinehandel ist ein Saisongeschäft, sagt Fred Seidel. Inzwischen wird auch samstags eine Schicht gearbeitet, um die Kundenaufträge zeitnah bearbeiten zu können. „Amazon macht die Vorgaben im Markt", sagt Deutschmann. Daran müsse man sich orientieren, letztlich würde man nach Kundenservice beurteilt. „Es geht nichts ohne Sterne- oder Punktebewertung."
Eigener Markenname und Sponsoring
Insgesamt umfasst das Sortiment rund 5000 Artikel. Viele der Produkte unter dem Label SO-Tech lässt Fred Seidel exklusiv herstellen. Die eigene Marke als „strategischer Schachzug" dient der Abgrenzung im Wettbewerb. „Unser Ziel ist, dass der Kunde, wenn er beispielsweise einen Möbelgriff sucht, als Suchbegriff SO-Tech eingibt", sagt Frank Deutschmann.
Das Versmolder Unternehmen setzt auf dem Weg zum höheren Bekanntheitsgrad sowohl bei Lieferanten als auch bei Kunden auf intensive Werbung. Teil des Konzeptes ist das Sponsoring beim Fußball-Zweitligisten Arminia Bielefeld. Vom normalen Werbepartner ist SO-Tech inzwischen zu einem von vier Exklusivpartnern des DSC geworden – neben dem Hauptgeldgeber Schüco.
Fred Seidel ist klar auf Wachstumskurs mit seinem Unternehmen. Die Zahl der Mitarbeiter hat sich in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt. Seit vergangenem Jahr bildet S & O im kaufmännischen Bereich aus. „Wir müssen uns unseren Nachwuchs selbst heranziehen, weil die Aufgaben sehr speziell sind", sagt Frank Deutschmann. Im Sommer beginnt eine weitere Auszubildende; einen dritten Platz hätte Inhaber Seidel gerne geschaffen. Es fehlt an räumlicher Kapazität.
Ohnehin macht dem Unternehmen das Platzproblem zu schaffen. Dringend wird neue Bürofläche gebraucht. Die Baugenehmigung für den etwa 400 Quadratmeter großen und etwa eine halbe Million Euro teuren Anbau liegt vor. Unbedingt noch in diesem Jahr will Seidel das Bauvorhaben realisiert haben und dann personell aufstocken.
Der Anbau aber wird nur für eine gewisse Zeit die „größte Einzelinvestition" bleiben. Das angrenzende Grundstück, das die Tennisanlage des TC Blau-Weiß beheimatet, soll zum Jahresende in Seidels Besitz übergehen. Ein weiteres Hochregallager soll dort mittelfristig entstehen. Das wäre dann ein Millionenprojekt, „Konkrete Pläne dafür gibt es noch nicht", sagt Seidel, ist aber froh, mit dem geplanten Kauf eine Grundlage für weiteres Wachstum zu haben.
Die Tage der Theke in der alten Vereinskneipe jedenfalls sind gezählt. Im neuen Bürotrakt wird unter anderem Platz geschaffen für einen eigenen Musterraum und ein richtiges Besprechungszimmer. In dem können Fred Seidel und sein Team weiter am Erfolgskurs des Unternehmens feilen.