Halle. Als er spricht, ist es totenstill. Die Wucht seiner Worte erschlägt. Nicht nur durch das, was er erzählt. Das »Wie« sagt ebenso viel über den Mann, der einst Autos durch ganz Europa verschob, der als Bandenchef einen Komplizen kaltblütig erschoss und der heute überall von seinem Weg zum Christentum spricht. Torsten Hartung ist ein begehrter Gesprächspartner. Auch im Fernsehen. Bei Michael Steinbrecher war er bereits, im Kölner Treff ebenso.
Die Geschichte, die er auch beim Leib-und-Seele-Abend der evangelischen Gemeinde erzählt, beginnt in seiner Kindheit, die von Lieblosigkeit und Gewalt geprägt war. Mit sieben droht seine Mutter ihrem Sohn mit Selbstmord und erklärt, während sie mit einem Seil um ihren Hals auf einen Stuhl steigt: „Und du bist schuld." Sie machte ihre Drohung nicht war. „Doch damals habe ich mein Urvertrauen verloren", sagt Hartung. Als sein Vater ihn halb totprügelt, entschließt sich der Zehnjährige, künftig nicht mehr Opfer, sondern Täter zu sein.
Und das wird er. Ein gefürchteter Schläger, ein Krimineller, der mit 18 das erste Mal im Gefängnis landet. Der Pate von Riga engagiert den 1962 in Schwerin geborenen Hartung als Autoschieber. Schon bald ist er der Chef einer 54-köpfigen Bande, die Luxuskarossen durch ganz Europa verschiebt. „Ich hatte Prostituierte, Kokain und Villen, verdiente 90 000 Dollar in der Woche", erzählt er. Als 1992 ein »Mitarbeiter« auf eigene Faust Geschäfte machen will, erschießt er ihn kaltblütig.
„Eine logische Konsequenz. Denn was schweißt zusammen?", fragt er die Zuhörer. „Angst. Und wer die meiste Angst verbreiten kann, ist der Chef", gibt Hartung selbst die Antwort. Die Kühle und Sachlichkeit, mit der er spricht, wirkt irritierend. Eine Frau am Nebentisch atmet tief durch, einige folgen dem Vortrag mit ausdruckslosem Gesicht.
Fünf Jahre in Isolationshaft bedeuten einen Wendepunkt
Dann wird Hartung von Interpol verhaftet. Knapp fünf Jahre verbringt er in Isolationshaft. „Dabei bin ich dem bösartigsten Menschen meines Lebens begegnet", sagt er – „mir selbst." Ein Satz, der Wirkung zeigt. Fast scheint es so, als lauere diese Bösartigkeit noch immer gut behütet im Inneren diese Mannes.
Sein Leben ändert sich am 15. Mai 1998, als Torsten Hartung in seiner Zelle „die Stimme Gottes", hört. „Klar und deutlich", wie er beteuert. Hartung gesteht daraufhin den ihm bis dahin nicht nachgewiesenen Mord,
wird im Gefängnis getauft – genau an dem Tag, an dem er acht Jahre zuvor einen Menschen erschossen hat. Nach 15 Jahren Haft wird er entlassen. Heute lebt Hartung mit seiner Frau Claudia in Thüringen. Zusammen mit ihr betreut er straffällig gewordene Jugendliche, die mit ihnen unter einem Dach wohnen.
Als Beifall aufkommt, wehrt Hartung ab. „Ihr klatscht ja auch nicht für den Pinsel, der ein Bild gemalt hat, sondern für den Maler. „Ich bin nur ein Pinsel in der Hand Gottes", fügt er hinzu. Es sind Sätze wie diese, die aufhorchen lassen. „Mut ist Angst, die gebetet hat", lautet so ein anderer.
Auch wenn Hartung durch sein jetziges Leben Tag für Tag beweist, dass er sich gewandelt hat, ist, während er erzählt, noch immer jene Energie zu spüren, die ihn einst zum erfolgreichen Gangsterboss hat werden lassen. Das will Hartung gar nicht verhehlen. „Es sind Talente wie Eloquenz oder die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Heute aber setze ich sie anders ein", sagt er.
Seine klare, direkte Sprache, verbunden mit den teils brutalen Schilderungen der Erlebnisse seiner Kindheit sind eine schwere Kost – keine Frage. Hartung aber kann gar nicht anders, als genau so zu erzählen. Ein ganzes Leben hat ihn in dieser Art und Weise geprägt.
Ob er seinen Eltern inzwischen verziehen habe? „Ja, denn es ist wichtig, nicht auf ihre Täterschaft zu schauen, sondern zu sehen, dass auch sie Opfer waren", sagt Hartung. Er hat sich entschieden, diese Sichtweise einzunehmen. „Denn Glaube ist Vernunft und Wille und kein Gefühl", erklärt er. Noch so ein Satz, der viel über den Mann erzählt, der vom Mörder zum Menschenretter geworden ist. Torsten Hartung hat seine Geschichte in dem Buch »Du musst dran glauben« aufgeschrieben.