
Eigentlich soll er heute die ersten drei Flüchtlinge in die frisch renovierte alte Schule in Eggeberg bringen, aber die drei Männer aus Bangladesch sind offensichtlich irgendwo zwischen Unna und Halle verloren gegangen. „Zwölf Flüchtlinge sollten heute ankommen, es sind aber nur neun da“, sagt Wagner. Kaum ausgesprochen klingelt sein Handy. Die drei Bangladescher sind doch noch in Halle erschienen und durchlaufen gerade den üblichen Weg.
„Unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter gehen mit ihnen ins Rathaus und zur Sparkasse, um dort ein Konto zu eröffnen“, erklärt Beate Gunia vom MehrGenerationenHaus. Da sie zunächst Barschecks erhalten und diese nur bei der Sparkasse gebührenfrei eingelöst werden können, da die Stadt dort ihr Konto hat, wird das Girokonto stets dort eröffnet. Anschließend gehen alle noch gemeinsam einkaufen, um eine Grundverpflegung sicherzustellen. „Leider haben wir nur eine Handvoll solch ehrenamtlicher Helfer, da diese sehr flexibel sein müssen“, sagt Gunia. Oft erfahre man erst abends, wie viele Flüchtlinge am nächsten Tag erwartet werden.
Wagner rast den ganzen Tag über von einem Ort zum anderen. In Halle gibt es bereits 16 Standorte, an denen Flüchtlinge leben, teils auch in einzelnen Wohnungen. Bei den ersten Einkäufen ist Wagner ebenfalls oft mit dabei. „Hier oben gibt es nichts, da können die nur Pilze sammeln“, sagt Wagner. Möglicherweise gebe es später auch mal Fahrräder für die Flüchtlinge, zunächst müssten sich diese aber auf den auf Bestellung stündlich fahrenden Taxibus oder auf ihre Füße verlassen, um zum nächsten, drei Kilometer entfernten Supermarkt zu kommen.
Räume wurden kaum noch genutzt
Bis 1995 gab es noch eine Nahversorgung in Eggeberg. Anneliese und Fritz Stodiek betrieben in ihrem Wohnhaus unweit der bereits 1967 geschlossenen Schule einen kleinen Dorfladen. „Die Wege sind schon recht weit, dennoch begrüße ich die Nutzung der Schule als Flüchtlingsunterkunft sehr“, sagt Reiner Stodiek, Sohn der früheren Geschäftsinhaber. Er sei selbst noch als einer der letzten Eggeberger in die Schule gegangen. „Die Räume wurden doch kaum noch genutzt“, sagt Stodiek. Die Schule sei zuletzt noch durch die Gesellschaft für Natur- und Umwelterziehung (GNU) sowie für Proben von der Musicalgruppe Opus Arte genutzt worden.Johannes Brockbals, Architekt der Stadt Halle, umschreibt das Potenzial der früheren Schule: „Hier wird es Platz für zwölf Flüchtlinge geben. Acht von ihnen sollen im früheren Klassenraum, vier im ehemaligen Nebenraum leben.“ Dazwischen liegt die Gemeinschaftsküche mit einer Waschmaschine und einem Trockner. Hinzu kommen noch jeweils ein Kühlschrank für zwei Personen sowie eine Spüle. „Die Kühlschränke haben alle kein Gefrierfach, da die Türen oft abgerissen wurden“, spricht Wagner aus seiner Hausmeistererfahrung. Damit wird die Tiefkühlpizza, abgesehen vom taggleichen Verzehr, vom Speiseplan verbannt.
Wir haben alles durchrenoviert und einen zweiten Rettungsweg angelegt“, erläutert Brockbals weiter die Baumaßnahmen in der ehemaligen Schule. Elektroleitungen wurden verlegt, Malerarbeiten durchgeführt und Bodenbeläge erneuert. In Kürze werden die Fenster zum Nachbargrundstück noch mit lichtdurchlässigen Sichtschutzfolien versehen. Die Toilettenanlagen sind nur von außen zugänglich. Neben einem Raum mit nur einer Dusche gibt es auch einen mit zwei nebeneinanderliegenden, die zwei Urinale aus Schulzeiten ersetzt haben. „Das ist doch gar nicht so schlecht“, sagt Wagner. Einige in der Innenstadt lebende Flüchtlinge müssten sogar ins Lindenbad gehen, um duschen zu können.
Umbauarbeiten bei Pallmeier laufen auf Hochtouren
Zu den Kosten für die Renovierungsarbeiten kann die Stadt derzeit noch nichts sagen, da noch einige Abschlussrechnungen der Handwerker fehlen. Man habe jedoch Kosten einsparen können, da sich die Schule stets im städtischen Besitz befunden habe. Die Umbauarbeiten in der ehemaligen Gaststätte Pallmeier an der B?68 laufen ebenfalls auf Hochtouren. „Der hintere Gebäudeteil wird bereits von einer sechsköpfigen Familie genutzt“, sagt Brockbals. Das Obergeschoss sei ebenfalls schon umgebaut und werde Platz für sieben Personen bieten. Insgesamt sollen 29 Flüchtlinge hier leben. Wann alle Arbeiten abgeschlossen sind, will Brockbals nicht vorhersagen. „Meistens kommen die Asylbewerber schneller, als wir fertig werden können“, sagt der Bauingenieur.Zu schnell geht wohl auch alles für die Möbelindustrie. Etagenbetten sind auch Wochen ausverkauft und selbst Schränke sind nicht mehr zu haben. „Notfalls müssen die Flüchtlinge anfangs mit der Matratze auf dem Boden schlafen“, sagt Wagner. Sowohl in der Osnabrücker als auch in der Bielefelder Filiale eines schwedischen Möbelhauses sei derzeit kein einziges Etagenbett mehr zu bekommen.
Vorrätig sind aber wohl noch deren große blaue Einkaufstaschen, in denen die Flüchtlinge ihre Willkommensmaterialien erhalten. Darin sind Handtücher, Putzmittel, Kleiderbügel, Geschirr oder Aktenordner verpackt. Wagner stellt die Tüten vor den Betten ab und macht sich wieder auf den Weg, um die neuen Bewohner abzuholen.
Die Stadt Halle ist derzeit auf der Suche nach einem neuen Hausmeister, der sich ausschließlich um die Flüchtlingsheime kümmert. Dann würde auch Wagner wieder seinen T-Shirt-Aufdruck zurecht tragen.