Die roten James Bonds fuhren Opel

Serie zum Kalten Krieg:Sowjetischen Militärs in Pium

Spione in Uniform: Hier eine Aufnahme, die Mitglieder der sowjetischen Militärmission in Uniform zeigt. Für ihren Auftrag waren sie aber nicht selten auch in Zivikleidung unterwegs. | © Foto: HK

Andreas Großpietsch
28.10.2015 | 28.10.2015, 12:57

Genauer gesagt, in Bad Oeynhausen, doch dieser Name ist englischsprachigen Lesern kaum zuzumuten. In direkter Nähe, in Bünde, befand sich die sogenannte SOXMIS, das offizielle Spionagehauptquartier der Sowjetunion. Dessen Mitarbeiter waren auch regelmäßig Gäste in Borgholzhausen.

Die »Sowjetische Militärverbindungsmission« war eine direkte Folge der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg. In den Verhandlungen der vier Siegermächte wurde Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Ein Detail der Vereinbarungen dazu war die Einrichtung sogenannter Militärverbindungsmissionen, die in direkter Nähe der jeweiligen Hauptquartiere angesiedelt wurden. Die USA, England und Frankreich unterhielten ähnliche Missionsstützpunkte in der ehemaligen DDR.

Soviet Military Mission: So unauffällig die Fahrzeuge waren, die von den Männern aus Büdne genutzt wurden, so auffällig waren die Kennzeichen. - © Foto: Mark Prüfer
Soviet Military Mission: So unauffällig die Fahrzeuge waren, die von den Männern aus Büdne genutzt wurden, so auffällig waren die Kennzeichen. (© Foto: Mark Prüfer)

Die Aufklärung militärischer Einrichtungen war das erklärte Ziel aller dieser Stationen – eine Lizenz zur Spionage, sozusagen. Die sowjetische Mission für die britische Besatzungszone residierte in Bünde, in einem doppelt abgesicherten Gebäude am Rande einer britischen Offizierssiedlung.

Missionen arbeiteten innerhalb genauer Grenzen

Die Missionen besaßen einen ähnlich privilegierten Status wie diplomatische Vertretungen. Die Gebiete, in denen sie ihrer Tätigkeit nachgehen durften, waren genau festgelegt. Während der Bereich Gütersloh also gesperrt war (siehe Karte oben), durften die russischen Offiziere und Soldaten ungehindert in Borgholzhausen tätig sein.
Serie Kalter Krieg in BorgholzhausenMit der Lizenz zur Spionage: Die Karte der ehemaligen britischen Besatzungszone zeigt, wo die Mitarbeiter der Militärmission tätig sein durften. Schraffierte Teile waren ihnen verwehrt. ? - © Foto: Wikipedia
Serie Kalter Krieg in BorgholzhausenMit der Lizenz zur Spionage: Die Karte der ehemaligen britischen Besatzungszone zeigt, wo die Mitarbeiter der Militärmission tätig sein durften. Schraffierte Teile waren ihnen verwehrt. ? (© Foto: Wikipedia)

Was sie auch waren: „Regelmäßig konnte man die Fahrzeuge der russischen Militärmission aus Bünde sehen, die das Geschehen auf der Raketenstation hier in Borgholzhausen beobachteten“, erinnert sich zum Beispiel der langjährige Bürgermeister Klemens Keller. Die Männer mit den Feldstechern fuhren bevorzugt Autos des Herstellers Opel. Gekauft wurden diese Fahrzeuge im Autohaus von Horst Jäcker: „Schon im Jahr 1946 bekam mein Vater Besuch von einem sehr freundlichen russischen Offizier, der die Aufnahme von geschäftlichen Beziehungen anbot“, erinnert er sich.

Die Mission der russischen Soldaten war die offene militärische Aufklärung nach dem Vier-Mächte-Statut. Und deshalb waren die Agenten auch nicht berufstypisch verschlossen, sondern suchten offensiv den Kontakt. „Wir wurden zum Beispiel zu Feiertagen wie dem Jahrestag der Oktoberrevolution in die Militärmission eingeladen“, erzählt Horst Jäcker. Er habe dort sehr viele nette Menschen getroffen, erinnert er sich. Wie zum Beispiel den Missionskommandanten Admiral Kondratjew. Der bestellte zum Dienstantritt gleich ein neues Dienstfahrzeug. Mit der Entscheidung für einen Opel Admiral bewies er durchaus Humor.

Unauffällige Fahzeuge bevorzugt

Vor allem aber unauffällig sollten die Autos sein, die von den russischen Agenten genutzt wurden. „Die Fahrzeuge der Mission, mit ihren gelben Kennzeichen, mit Hammer-, Sichel- und Sternemblem, tauchten überall dort auf, wo westliches Militär zu beobachten war“, sagt Horst Jäcker. Und manchmal sicher auch dort, wo die westliche Seite sie nicht sehen wollte. So wurde der enttarnte Ost-Agent Reiner Fülle im Jahr 1979 in die DDR zurückgebracht – in einem Fahrzeug der russischen Militärmission.

Die westliche Seite brachte für ihre Militärmissionen, die in Potsdam angesiedelt waren, eigene Fahrzeuge mit, wobei darauf geachtet wurde, dass sie Ostblock-Typen zumindest ähnelten. Denn bei aller gezeigten Offenheit auf der einen Seite ging es auf der anderen Seite auch immer darum, geheimdienstlich nutzbare Erkenntnisse über den jeweiligen Gegner zu gewinnen.

Zwar durfte die normale Polizei die Fahrzeuge der Missionen nicht stoppen, doch auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs kam es zu gefährlichen Situationen. Da wurden zum Beispiel die Reifen zerschossen oder auch Unfälle absichtlich herbeigeführt. „Die russischen Fahrzeuge wurden dann bei uns repariert“, sagt Jäcker. Dabei blieb aus Angst vor dem Einbau von Wanzen immer ein Vertreter der Mission in der Nähe. Es habe Anfragen deutscher und britischer Geheimdienste gegeben, aber die habe er abgelehnt, sagt Jäcker.

Kein Interesse an selbst verschuldeten Unfällen

Da die Insassen der Missionsfahrzeuge so etwas wie diplomatische Immunität besaßen, stiegen sie auch bei selbst verschuldeten Unfällen nicht aus. Auch um eventuell dabei angerichtete Schäden kümmerten sie sich eher nicht.

Aus Borgholzhausen sind solche Zwischenfälle nicht bekannt. Material genug über die Stellung dürften die roten James Bonds allerdings gesammelt haben. „Als die Mission in Bünde 1990 aufgelöst wurde, mussten dort tagelang Akten verbrannt werden“, sagt Horst Jäcker. Denn anders als Bundesbürger konnten die russischen Missionsangehörigen vom holländischen Wachpersonal zum Beispiel auch nicht am Fotografieren der Stellung gehindert werden.

Um einen besseren Überblick zu gewinnen, stiegen Agenten aus Ost und West gern auf die Dächer ihrer Autos. Das Schiebedach gehörte deshalb fast zur Standardausrüstung der Fahrzeuge beider Seiten. „Einige Autos erhielten zusätzlich Allradantrieb“, erinnert sich Horst Jäcker. Die speziellen Verbesserungen, mit denen die Fahrzeuge von James Bond ausgerüstet werden, gehören offenbar mehr ins Kino als in die Realität der Spione. Und auch schicke Sportflitzer, wie sie der Doppelnull-Agent immer fahren darf, sind wohl eher Fiktion als Realität.