Forscher: Autoverkehr lässt sich in Städten um 90 Prozent senken

Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes sprach in der Stadthalle vor 350 Zuhörern. | © Lena Henning

Lena Henning
15.12.2017 | 15.12.2017, 08:09

Bielefeld. E-Autos, Car-Sharing-Apps, autonomes Fahren – technisch ist inzwischen vieles möglich. Würde man alle diese Möglichkeiten zur intelligenten Vernetzung von Mobilität nutzen, bräuchte eine Stadt wie Lissabon nur noch zehn Prozent ihrer dort fahrenden Privatautos.

So beschreibt Thomas Sauter-Servaes mögliche Zukunftsvisionen. Der Schweizer Mobilitätsforscher sprach bei einer Veranstaltung des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) und des Verbands der Elektrotechnik (VDE) in OWL über die Zukunft der Mobilität. Der provokante Titel: „Autocalypse now? Autonomes Fahren ändert alles".

"Verkehr ist heute ineffizient"

„Der heutige Verkehr ist ineffizient", lautet seine These. Und das gleich in mehreren Bereichen. Beim Antrieb geht zu viel Energie verloren. In der Rushhour drängen zu viele Fahrzeuge gleichzeitig auf die Straßen.

Fahrzeuge seien „Stehzeuge", weil sie im Schnitt kaum mehr als eine halbe Stunde täglich benutzt würden. Und zudem sei das Autofahren immer riskant, weil es durch menschliches Versagen noch oft zu tödlichen Unfällen komme.

Angetrieben von der Digitalisierung, arbeite die Automobilbranche mit Hochdruck an Lösungen für diese Probleme. An vielen Beispielen zeigt der Mobilitätsforscher, was technisch heute schon alles möglich ist.

"Road Office" im autonom fahrenden Auto

So könnte etwa künftig die Fahrzeit im „Road Office" – dem Büro auf der Straße – als Arbeitszeit anerkannt werden. „Wenn Pendeln nicht mehr als lästig empfunden wird, könnte das die Attraktivität ländlicher Regionen erheblich steigern", sagt Sauter-Servaes.

Der Forscher ist überzeugt: Autonomes Fahren wird Fortbewegung, wie wir sie kennen, vollkommen verändern. „Wir haben die technischen Antworten, aber stellen wir auch die richtigen Fragen?", fasst er seine Botschaft zusammen.

Fluch oder Segen?

Und er mahnt: Wenn Mobilität künftig komfortabel und günstig wird, könnte das auch dazu führen, dass der Verkehr zunimmt. Autonomes Fahren bedeute also nicht unbedingt den Weg ins Paradies. Ob sich die Technologie als Fluch oder Segen herausstelle, hänge davon ab, wie die Zukunft gestaltet werde.

„Wir dürfen uns nicht von der reinen Technologie treiben lassen, sondern müssen uns fragen: Wo wollen wir hin?", mahnt Sauter-Servaes, „Wir müssen uns heute Gedanken machen, wie der Verkehr von morgen aussehen soll."

Eine Welt, in der jeder jederzeit von Tür zu Tür transportiert werden könne, sei – auch wenn technisch möglich – nicht unbedingt wünschenswert. Wichtig sei es, autonom fahrende Autos mit ÖPNV, Fuß- und Radverkehr sinnvoll zu vernetzen.

KOMMENTAR DER REDAKTION


Eine Frage der Akzeptanz

Das Angebot ist da. In Manhattan gibt es im Jahr 150 Millionen Taxifahrten – davon könnten 80 Prozent eingespart werden, wenn die Kunden bereit wären, einen Umweg von weniger als drei Minuten in Kauf zu nehmen. Sharing-Angebote machen’s möglich. Warum das noch nicht Alltag ist? Die gesellschaftliche Akzeptanz fehlt. Dafür, das Taxi zu teilen. Und auch dafür, auf das Statussymbol Auto zu verzichten.

Die tollste Technologie nützt nichts, wenn niemand das Steuer – oder eben auch das eigene Auto – abgeben will. Ob aus Angst vor der Datensammelwut dieser Mobilitätsanbieter oder grundsätzlicher Technikskepsis.

Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes stellte in seinem Vortrag fantastische Modelle vor. Technik, die unser Verständnis von Fortbewegung revolutionieren wird. Sein Anstoß, diesen Wandel gesellschaftlich zu begleiten und zu gestalten, ist richtig und wichtig – auch, um die nötige Akzeptanz dafür zu sichern.

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