
Sollte die Zehnte Strafkammer am nächsten Verhandlungstag die von der Verteidigung bereits angekündigten Beweisanträge ablehnen, werden Staatsanwalt, Nebenklägerin und Verteidiger nach Plänen des Vorsitzenden schon Freitag ihre Plädoyers halten. Ein Urteil könnte noch am selben Tag, spätestens aber wohl in der kommenden Woche verkündet werden.
Bevor das Gericht die Beweisaufnahme allerdings endgültig schließen kann, wird sich die Kammer noch mit einem neuen Detail beschäftigen müssen. Sibylle G. (42), Tochter der getöteten Ärztin und Nebenklägerin in diesem Revisionsprozess, berichtete am gestrigen Verhandlungstag von einem Elektroschocker, den sie beim Aufräumen im Haus ihrer Mutter und ihres Onkels gefunden haben will. Hauptbelastungszeuge Christian P. (50) hatte in seinen Aussagen immer wieder einen Elektroschocker ins Spiel gebracht. Laut P. soll der Angeklagte Jens S. (30) mit dem Gerät versucht haben, die Medizinerin zu betäuben. Doch das habe nicht geklappt, weil der Elektroschocker defekt gewesen sei. Ob bei der Tat tatsächlich ein solches Gerät verwendet wurde, konnte bislang nicht geklärt werden. Rechtsmediziner hatten jedoch an Kleidungsstücken von Helgard G. thermische Spuren entdeckt, die durch einen Elektroschocker verursacht worden sein könnten.
Staatsanwalt reagiert überrascht auf die plötzliche Entdeckung

Staatsanwalt Christoph Mackel reagierte überrascht auf die plötzliche Entdeckung der Nebenklägerin – und er bekam eine ebenso überraschende Antwort auf seine Nachfragen, wann G. das Gerät denn genau gefunden und warum sie der Mordkommission davon bislang nichts gesagt habe: „Das liegt jetzt bei mir im Auto", sagte die Nebenklägerin und löste damit ein Raunen nicht nur in den Zuschauerreihen aus.
Erst auf weitere Nachfrage, gab G. an, den „noch originalverpackten Elektroschocker vor ein paar Tagen" auf der Hutablage einer Garderobe im Flur des Hauses an der Badstraße gefunden zu haben. Sie könne sich vorstellen, dass der Elektroschocker möglicherweise ihrer Mutter gehört habe.
Staatsanwalt Christoph Mackel wie auch der Leiter der Mordkommission »Bad«, Ralf Östermann hielten es für ziemlich unwahrscheinlich, dass der Elektroschocker etwas mit der Bluttat zu tun hat. „Ein Täter würde einen Elektroschocker wohl kaum wieder einpacken und auf den Schrank legen", sagte Mackel. Dennoch könnte das Fundstück Bestandteil des Prozesses werden. Die Verteidiger Sascha Haring und Carsten Ernst kündigten dazu einen entsprechenden Beweisantrag an, den sie der Kammer am Freitag überreichen wollen. In einem weiteren Antrag haben sie die Aufhebung des Haftbefehls für ihren Mandanten gefordert. Der dringende Tatverdacht, dass S. die wohlhabenden Geschwister an Heiligabend 2013 ermordet haben soll, sei nicht mehr aufrechtzuerhalten. Ihre Begründung stützen die Anwälte maßgeblich auf das Ergebnis eines LKA-Gutachten, aus dem nicht eindeutig hervorgehe, wie die DNA-Spuren ihres Mandanten an die Krallen des ebenfalls getöteten Hundes gekommen sind. Auch bezweifeln sie die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Christian P., der am Montag vereidigt worden war. Der ehemalige Mithäftling hatte sich mit Detailwissen über die Umstände der Bluttat an die Ermittler gewandt und den 29-Jährigen schwer belastet. Haring und Ernst sind überzeugt, dass dieses Insiderwissen aus der Ermittlungsakte stammt.
Über die Anträge entscheidet das Gericht am Freitag.