Bielefeld. Große Verunsicherung erfasst vor dem kommenden Winter immer mehr Unternehmen und durchdringt auch das normalerweise robuste Handwerk. „In vielen Gewerbegruppen stehen die Zeichen auf Abschwung – aufgrund der unsicheren Lage bei den Energiepreisen, der Inflation und möglicher weiterer Eskalationen“, sagte OWL-Handwerkspräsident Peter Eul bei der Vorstellung des Herbst-Konjunkturberichts.
In der Branche mit 160.000 Mitarbeitern allein in Ostwestfalen-Lippe sackte das Geschäftsklima steil ab und erreicht nun etwa das „kühle“ Niveau, das beim Ausbruch der Coronakrise vor zwei Jahren herrschte. Positiv sei immerhin noch die Auftragslage im Bau- und Ausbaugewerbe, sagte Jens Prager, der Hauptgeschäftsführer der Kammer. Wegen der Gemengelage aus Krieg, Pandemie und Inflation werde aber auch hier ein Einbruch befürchtet.
Die drohenden Auswirkungen zeigen sich beim näheren Blick auf die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage: Demnach fiel das sogenannte Beschäftigungsklima von 104 Punkten im Frühjahr auf nun 95 Punkte – und somit auf den schlechtesten Wert seit mehr als zehn Jahren. „Unternehmen überlegen es sich gründlich, ob sie in dieser Lage neue Fachkräfte einstellen“, warnt Prager vor Folgen für den Arbeitsmarkt. Noch deutlicher sei die negative Entwicklung mit Blick auf das Investitionsklima, das auf 89 Punkte rutschte, ebenfalls der niedrigste Wert seit der Finanzkrise: „Für viele Firmen ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Investitionen“, so Prager.
Lebensmittelhandwerk ist derzeit das Sorgenkind
Dass die Verbraucher ihr Geld ebenso zusammenhalten wie die Unternehmen, merken konsumnahe Branchen natürlich besonders schnell – und besonders die energieintensiven Betriebe wie Bäcker oder Textilreinigungen. Wo bisher drei Prozent des Umsatzes für Backöfen, Strom und Sprit einkalkuliert werden mussten, könnten bald zehn oder 15 Prozent nötig werden. Zugleich seien aber auch Rohstoffe um durchschnittlich 40 Prozent teurer geworden, die Mehlpreise hätten sich verdoppelt, sagte Bäckermeister Axel Glasenapp, der Obermeister der Bäckerinnung Gütersloh. „Bei vielen Firmen in der Branche herrscht die blanke Angst“, berichtete er. Weil Nachwuchskräfte für Backstube und Verkauf weiter knapp seien, müssten zudem höhere Löhne gezahlt werden, so Glasenapp.
Eine Sorge von Bäckern oder Fleischern ist, dass die Kunden zu Discountern abwandern. Die Kosten könnten daher nicht in vollem Umfang über höhere Preise weitergegeben werden.
Fleischer, Bäcker, Konditoren: Das Lebensmittelhandwerk ist zum ärgsten Sorgenkind des gesamten Handwerks geworden. „Die Lage der Branche ist schon jetzt schlecht, aber die Erwartungen sind geradezu desaströs“, bringt es Jens Prager auf den Punkt, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer OWL. 61 Prozent der befragten Firmen rechneten hier mit rückläufiger Beschäftigung – ein Stellenabbau droht.
Auch Gesundheitsgewerbe und Kfz-Handwerk im Krisenmodus
Der Bielefelder Fleischermeister Lennart Hermstein (Fleischerei Münch) zum Beispiel berichtet über hohe Kostensteigerungen auch in seiner Branche. Die Preise für manche Fleischsorten seien seit dem Sommer stark gestiegen, Rindfleisch zum Teil etwa um 70 bis 100 Prozent, so Hermstein. Die Verteuerung von Energie und Futter gelten als ein Grund dafür, aber auch Verschiebungen der Nachfrage. Wegen der in mehreren europäischen Ländern grassierenden Geflügelgrippe sei auch Geflügelfleisch extrem teurer geworden, der Preis für Entenbrust habe sich verfünffacht (plus 400 Prozent). Ausgerechnet zur Herbst- und Weihnachtszeit würden nun auch Gänse drastisch teurer. Von der Politik fühlt sich Hermstein unterdessen im Stich gelassen: „Wir werden etwas vergessen“, findet er.
Klar scheint: Die mittelständischen Betriebe haben im Wettbewerb mit großen Einzelhandelsketten jetzt die größten Probleme, ihre Kostensteigerungen an die Kundschaft weiterzugeben. Aber die Krise hat weitere Handwerksbranchen erfasst: Auch das Gesundheitsgewerbe (Optiker, Akustiker, Zahntechniker) und das Kraftfahrzeuggewerbe sind inzwischen wieder im Krisenmodus, ergab die Konjunkturumfrage der Kammer.

Auf die Frage nach Liquiditätsschwierigkeiten antworteten 18 Prozent von 1.303 teilnehmenden Unternehmen mit „Ja“. Von einer „existenzbedrohenden Situation“ für viele energieintensiven Betriebe spricht Prager. „Die in Aussicht gestellten Entlastungen müssen daher unmittelbar und schnell wirken“, mahnt Prager. Und Handwerkspräsident Peter Eul beklagt zugespitzt, dass die Politik zwar schon viel über Unterstützung geredet habe und manches auch beschlossen wurde, dass aber „noch nichts wirklich umgesetzt worden ist“.
"Runiöser Preiswettbewerb" im Baugewerbe befürchtet
Unterstützung könne in Form direkter Liquiditätshilfen (am besten als nicht rückzahlbarer Zuschuss) gewährt werden, aber auch durch eine Erstattung steuerlicher Vorauszahlungen, so Prager. Und die bewährte Kurzarbeitsregelung sollte verlängert werden.
Sorgen macht man sich in der Handwerkskammer auch um die Entwicklung im bislang stabilen Bau- und Ausbaugewerbe. Hier könne die öffentliche Hand helfen, indem sie nötige Ausschreibungen jetzt schnell auf den Weg bringe und auf auskömmliche Angebote achte. Zu befürchten sei in manchen Gewerken ansonsten ein ruinöser Unterbietungswettbewerb beim Kampf um Aufträge. „Es gab noch nie eine bessere Chance, Handwerker schnell zu finden“, warb Prager, räumte aber ein, dass dies etwa für die Installation von Photovoltaikanlagen oder Wärmepumpen nicht gelte.
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