Games"After Us" im Test: Behutsam erzählte Indie-Perle für diesen Frühsommer

Die Welt ist dahin, und wir, eine kleine, zarte Person namens Gaia, sind die einzige Rettung, die durch die Hölle gehen muss, um das Licht zurückzubringen. Was kann dieses ungewöhnliche Spiel? Das haben wir getestet.

Christian Lund

Hallo? Ist da irgendwer? Nein, hier ist niemand mehr, unsere Gaia ist mutterseelenallein auf der völlig zerstörten Autobahn unterwegs. - © Piccolo/Private Division
Hallo? Ist da irgendwer? Nein, hier ist niemand mehr, unsere Gaia ist mutterseelenallein auf der völlig zerstörten Autobahn unterwegs. © Piccolo/Private Division

Die Postapokalypse auf unserer Erde ist ein beliebtes und wiederkehrendes Thema bei Filmen, Serien, Büchern und natürlich auch bei Videospielen. Ganz neu in diesen illustren Reigen tritt jetzt das zarte Jump&Run-Puzzle-Spiel "After Us", entwickelt von Piccolo Studio ("Arise: A simple story") und herausgegeben von Private Division.

Auch hier ist die Welt zerstört, untergegangen, alles ist verloren. Hier wurde nicht nur die Menschheit ausgerottet, sondern auch gleich noch die gesamte Fauna und Flora. Alle Hoffnung ruht auf uns, um die Welt wieder zurückzubringen. Denn nicht alles ist verloren.

Worum geht's?

"After us" schafft es auch ohne hochauflösende Texturen, eine atemberaubende Stimmung zu erzeugen: In der Stadt sind die Einkaufszentren nicht mehr so, wie wir sie kennen. - © Piccolo/Private Division
"After us" schafft es auch ohne hochauflösende Texturen, eine atemberaubende Stimmung zu erzeugen: In der Stadt sind die Einkaufszentren nicht mehr so, wie wir sie kennen. (© Piccolo/Private Division)

Es sind die sogenannten Verschlinger, die die Welt zerstört haben. Alles, was einst lebte, ist tot und ausgelöscht. Wir erwachen in einer blassen, zierlichen Gestalt mit langen, leuchtenden Haaren, um die uns Rapunzel vermutlich beneidet hätte. Man nennt uns Gaia, und wer sich ein wenig mit griechischer Mythologie auskennt, weiß, dass sie diejenige war, die das Leben brachte. Auch bei "After Us" ist sie die Hoffnung. Wenn Gaia die Postapokalypse nicht beseitigt und der Erde neues Leben einhaucht, kann es niemand sonst. Nach uns Menschen ist nur noch Gaia. Und nach Gaia ist entweder alles oder gar nichts mehr.

In der Arche, die nicht Noahs meint, sondern den mythologischen Baum des Lebens, werden wir damit beauftragt, hinaus in die Welt zu gehen, denn auch die Arche stirbt, und das letzte Ende der Welt ist nur aufzuhalten, wenn Gaia die hüllenlosen Körper verstorbener Tiere findet und ihre letzte Lebenskraft in ihnen neu entfacht. Dann, ja, dann bringt die Arche das Leben zurück in die Welt.

Mit nicht viel mehr als diesem Wissen beginnen wir unsere Reise durch die völlig zerstörte Welt, und das ist genau das Spielprinzip, mit dem wir uns arrangieren müssen, denn vieles ist unklar, auch der Weg, den wir nehmen müssen. Kann so ein Spiel nachhaltig begeistern?

Was uns gefallen hat

Metaphorisch: Sind die Bildschirme die Fenster zum Hof oder die Fenster zur Welt? - © Piccolo/Private Division
Metaphorisch: Sind die Bildschirme die Fenster zum Hof oder die Fenster zur Welt? (© Piccolo/Private Division)

"After Us" ist absolut surreal. Der mythologisch-esoterische Beginn deutet es ja bereits an, aber auch die Welt, die wir dann betreten, ist nicht weniger irre. Auf dem Weg durch die Stadt kommen wir an zerstörten Gebäuden, Brücken, Autos, Bussen, Lastwagen vorbei, und es erinnert ein wenig an die zerstörten US-amerikanischen Städte von "The Last of Us". Nur dass uns nirgendwo Infizierte auflauern. Anfangs. Gut, es sind keine Infizierten. Aber dazu später mehr.

Skurril aber ist, dass bei manchen Autos noch die Lichter brennen. Die Batterieleistung von Autos scheint enorme Fortschritte gemacht zu haben, bevor alles den Bach runter ging. Manche der Vehikel hängen regungslos in der Luft, aber gleichzeitig so praktisch verteilt, dass wir über sie auf höher gelegene Terrains springen können.

Nach und nach erlernen wir so die wesentlichen Gameplay-Elemente. Vieles ist durch Springen erreichbar. Nach dem normalen Springer kommt der Doppelsprung, dann der Sprintsprung, dann der Luftsprint, später können wir auch an manchen Wänden hochlaufen. In den meisten Fällen funktioniert das alles erstaunlich gut. Und das Erreichen von unerreichbar scheinenden Orten ist eines der Hauptbeschäftigungen in "After Us". Es ist also klug, die unterschiedlichen Sprungformen zu beherrschen. So sind wir etwa sehr lange an einem Parcours gescheitert, der sich immer höher in den Himmel drehte. Ehrgeiz zahlt sich dann aber irgendwann aus. Eine andere Sprungpassage hat uns dagegen sehr begeistert: Da mussten wir über mehrere Kranausleger und eine Abrissbirne einen tödlichen Abgrund überwinden.

Die Geschichte selbst wird sehr, sehr langsam, geradezu entschleunigend, aber auch sehr poetisch erzählt. Anfangs dachten wir, dass die Story zu langsam erzählt wird. Aber spätestens als uns klar wurde, wie groß die Gebiete sind und wie viele Tiere wir retten müssen, bekam auch die Erzählweise ihren Sinn. Wir wollen hier aber an keiner Stelle spoilern, denn das würde den Spielspaß zerstören. Und: Der Flow ist nicht immer so. Mal müssen wir uns hastig vor den fiesen Verschlingern retten (keine Infizierten, aber dafür dennoch unangenehme Widersacher, die uns nach dem Leben trachten – später können wir auch gegen sie kämpfen), mal surfen wir rasant auf Lianen durch die tiefen Ruinenschluchten. Trotzdem ist das Gameplay eher von der gemütlichen Art. Nachdem wir uns darauf eingelassen haben, hat uns das sehr gut gefallen.

Und die Gestaltung der Szenerie ist eine richtige Wucht. Da sieht man mal, dass man nicht mit hochauflösender Grafik kommen muss, um eine Stimmung zu erzeugen. Es gelingt "After Us" nämlich hervorragend, diese bedrückende Stille einzufangen, fast als hätten Momos Zeitdiebe hier ihr Unwesen getrieben. Alles ist grau, lichtlos, trostlos, verloren. Aber Gaia hat die einzigartige Kraft, in einem engen Kreis und mit einer Druckwelle, die Gegner straucheln lässt, um sie herum alles grün und leuchtend werden zu lassen. Sie kann Oasen des Lebens schaffen, die einen krassen Kontrast zum Vorher schaffen. Toll gemacht!

Was uns nicht gefallen hat

Mehr als 100 verschiedene Tiergeister lassen sich in "After us" einsammeln. Nach und nach erfahren wir immer mehr über die letzten ihrer Art. - © Piccolo/Private Division
Mehr als 100 verschiedene Tiergeister lassen sich in "After us" einsammeln. Nach und nach erfahren wir immer mehr über die letzten ihrer Art. (© Piccolo/Private Division)

Wir hätten uns allerdings manchmal eine bessere Orientierungshilfe gewünscht. Es gibt keine Karte, auf der wir sehen können, wo wir uns gerade befinden, und wir müssen uns den Weg selbst herauskniffeln. Und das ist mitunter wirklich anstrengend. Vielerorts gibt es gewisse Hinweise, und man lernt sie im Verlauf des Spiels besser zu lesen, aber so wie das Spiel uns das Springen beibringt, hätten wir uns auch ein kleines Tutorial für die Orientierung gewünscht.

Dann hatten wir häufiger Komplikationen beim Springen, weil uns die Kamera in einem so ungünstigen Winkel folgte, dass unsere Figur hinter einer schon überwundenen Barriere verschwand und uns damit den Blick auf die nächste nahm. Auf manchen senkrechten, schmalen Platten können wir nach dem Wandlauf stehen, auf anderen, die genauso aussehen, nicht. Das will uns einfach nicht in den Kopf.

Auch Bugs sind uns begegnet. Die Übergänge zu und von den Zwischensequenzen haben auf unserer Playstation 5 mit einem kurzen Flimmern reagiert, was sicher nicht so gedacht ist. Und sobald wir ins Geschäftsviertel der Stadt vorgerückt sind, können wir auch Fensterscheiben zerstören, um in hintere Bereiche zu gelangen. Problem: Sind wir durch das Loch in der Scheibe hineingelangt, kommen wir ganz häufig nicht durch das Loch wieder hinaus. Zerstören wir die Scheibe mit unserer geheimen Kraft noch einmal, macht das keinen Unterschied, zerstören wir die Scheibe mit einer anderen Kraft, geht es plötzlich. Auch das ist sicher nicht im Sinne des Erfinders. Lässt sich aber alles durch Patches beheben, und dann ist es nicht mehr der Rede wert.

Unser Fazit

"After Us" ist ein abwechslungsreiches, klug und behutsam erzähltes Rätsel-Spiel mit einer ernsten Botschaft: Wenn wir nicht aufpassen, kann die letzte Generation wirklich die letzte Generation sein. Wir finden, das atmosphärische "After Us" ist genau die richtige Indie-Perle, die dieser Frühsommer jetzt braucht, bevor im Herbst die fetten AAA-Titel anrücken.

"After Us" ist seit dem 23. Mai 2023 für PC, Playstation 5 und Xbox Series X|S erhältlich und kostet rund 30 Euro. Das Spiel ist ab 12 Jahren freigegeben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt


Wir bieten an dieser Stelle weitere externe Informationen zu dem Artikel an. Mit einem Klick können Sie sich diese anzeigen lassen und auch wieder ausblenden.

Externe Inhalte

Wenn Sie sich externe Inhalte anzeigen lassen, erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Weitere Hinweise dazu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Kommentare

Um Ihren Kommentar abzusenden, melden Sie sich bitte an.
Sollten Sie noch keinen Zugang besitzen, können Sie sich hier registrieren.

Mit dem Absenden des Kommentars erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen für die Kommentarfunktion an.