Nach Erdbeben-KatastropheOstwestfalen bangen um ihre Familien in der Türkei

In der Region lebende Türken versuchen verzweifelt, ihre Verwandten zu erreichen. Nachrichten von vor Ort verdeutlichen den ganzen Schrecken.

Simon Schulz

Jalibu Feza, Murat Krocuban und Ihan Ergun schauen während ihrer Arbeit fassungslos auf Bilder, die ihnen aus der Türkei zugeschickt wurden. - © Jörg Dieckmann - www.dieckmann-fotodesign.de
Jalibu Feza, Murat Krocuban und Ihan Ergun schauen während ihrer Arbeit fassungslos auf Bilder, die ihnen aus der Türkei zugeschickt wurden. © Jörg Dieckmann - www.dieckmann-fotodesign.de

Bielefeld. Der Blick von Safa (Name geändert) ist leer. Seine Augen starren in die Ferne. An diesem Montag fällt dem Koch, der nicht mit richtigem Namen genannt werden will, die Arbeit im Restaurant "Piro" schwer. Er kann keinen klaren Gedanken fassen. Zu groß ist die Sorge um seine Familie im 3.400 Kilometer entfernten Adiyaman, das am Montagmorgen von dem verheerenden Erdbeben erschüttert wurde. Die Stadt im Südwesten der Türkei hat ähnlich viele Einwohner wie seine neue Heimat Bielefeld.

Seit den frühen Morgenstunden versuchen im Ausland lebende Türken ihre Familien, Freunde und Bekannte zu erreichen - teilweise vergeblich. Telefon- und Internetverbindungen sind stellenweise zusammengebrochen, die Infrastruktur zerstört. "Es gibt bis jetzt noch keine offizielle Stelle, an die wir uns wenden können, um Informationen zu bekommen", sagt Safa. Ersten Medienberichten zufolge sollen in Adiyaman 13 Menschen durch das Beben getötet worden sein. Eine Zahl, die wahrscheinlich nach oben korrigiert werden muss.

Enver Deveci, Kellner im "Piro", zeigt auf seine vom Erdbeben getroffene Heimatstadt Gaziantep. Er steht in engem Kontakt mit seiner Familie. - © Jörg Dieckmann - www.dieckmann-fotodesign.de
Enver Deveci, Kellner im "Piro", zeigt auf seine vom Erdbeben getroffene Heimatstadt Gaziantep. Er steht in engem Kontakt mit seiner Familie. (© Jörg Dieckmann - www.dieckmann-fotodesign.de)

Das Erdbeben in der Türkei bewegt auch die türkische Community in Ostwestfalen-Lippe. "Das ist mein Land", sagt Enver Deveci, der 2013 nach Deutschland kam. "Ich habe im Bett gelegen, als die schlimme Nachricht kam", erinnert sich der Kellner. Seine Eltern und Geschwister leben in der 2,1-Millionen-Stadt Gaziantep. Er griff sofort zum Telefon und erkundigte sich nach der Lage. Der Familie gehe es gut, sagt er, die Wohnung sei von der Zerstörung verschont geblieben.

Situation belastet die Mitarbeiter

Dennoch sollten sich alle vorerst im Freien aufhalten und ihre Wohnungen nicht betreten. Es bestehe Einsturzgefahr, weitere Nachbeben könnten nicht ausgeschlossen werden. "Ich bin hier allein in Deutschland. Bei solchen Nachrichten fühlt man sich hilflos", sagt Deveci. Und weiter: "Das ganze Ausmaß der Zerstörung wird sicherlich erst in den nächsten Tagen sichtbar werden."

Viele Mitarbeiter des "Piro" seien traumatisiert und litten psychisch unter der Situation, berichtet Nazli Koyun. Sie ist Kellnerin in dem Restaurant, wo den Gästen unter anderem Baklava und Lahmacun serviert werden. "Wir sind eine kleine Familie. Man fragt sich durch, unterstützt sich gegenseitig", sagt sie. Den ganzen Montag über blicken Mitarbeiter unruhig auf ihre Handys, telefonieren mit Angehörigen oder verfolgen türkische Nachrichten. Sie zeigen einander Videos, die Verwandte aus der Türkei geschickt wurden. Trümmer auf den Straßen sind zu sehen und Häuser, die dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Familienangehörige vermisst oder gestorben

Wenige hundert Meter vom Restaurant "Piro" entfernt, im Can Ocakbasi, ist die Stimmung ähnlich. Jahlou Faza zeigt seinen Kollegen Murat Korocubar und Ilhan Ergon Videos und Fotos, die ihm ein ehemaliger Arbeitskollege gesendet hat. Die Fassungslosigkeit über das Ausmaß der Zerstörung steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Kellner Jahlou Faza: "Der ehemalige Kollege fliegt morgen um 2 Uhr in die Türkei. Sein Onkel, seine Cousine und sein Schwager sind bei dem Erdbeben gestorben." Weitere Familienangehörige würden noch vermisst, berichtet er. Während die einen traurige Gewissheit haben, wartet Safa weiter auf ein Lebenszeichen seiner Familie.