In Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit, einem mit Polioviren infizierten Menschen zu begegnen, sehr gering. Doch die zunehmenden Fälle in anderen Ländern lassen aufhorchen. Ein Überblick über Symptome und Impfungen:
Was ist Polio?
Polioviren sind kleine, sphärische, unbehüllte Einzelstrang-RNA-Viren, erklärt das Robert Koch-Institut (RKI). Poliomyelitis, kurz Polio, wird auch Kinderlähmung genannt. Sie ist eine ansteckende Infektionskrankheit, die Lähmungen auslösen und zum Tod führen kann. Vor allem bei Kleinkindern können dauerhafte Schäden bleiben. Auch Erwachsene können sich anstecken. Verbreitet wird das hoch ansteckende Virus oft über verunreinigtes Wasser. Eine vollständige Heilung gibt es bislang nicht. Es gibt keine Medikamente gegen die Kinderlähmung.
Was sind die Symptome von Polio?
In den meisten Fällen läuft eine Infektion recht harmlos ab. Etwa 95 Prozent der Infizierten haben laut RKI keine Symptome. Bei vier bis acht Prozent der Infizierten kommt es demnach zu Symptomen wie Kopfschmerzen, Fieber, Übelkeit und Magen-Darm-Problemen. Infiziert das Poliovirus Zellen des Zentralen Nervensystems, kann es zur nichtparalytischen Poliomyelitis kommen. Das betrifft dem RKI zufolge zwei bis vier Prozent der Infizierten. Symptome sind dann unter anderem Fieber, Nackensteifigkeit, Rückenschmerzen und Muskelkrämpfe. Die schwerste Form, die Paralytische Poliomyelitis, betrifft 0,1 bis 1 Prozent der Infizierten. Neben schweren Rücken-, Nacken- und Muskelschmerzen kommt es dann auch zu Lähmungen. Außerdem gibt es das Post-Polio-Syndrom, bei dem Jahre oder Jahrzehnte nach einer Infektion noch Lähmungen oder Schwächungen der Muskulatur auftreten können.
Galt die Kinderlähmung nicht als ausgerottet?
Dem RKI zufolge wurde in Deutschland die letzte erworbene Polio-Erkrankung durch ein Wildvirus im Jahr 1990 erfasst. Die letzten beiden eingeschleppten Fälle wurden demnach 1992 registriert. Es ist Experten zufolge heute sehr unwahrscheinlich, in Deutschland einer mit Polio infizierten Person zu begegnen. Am 21. Juni 2002 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Europa-Region mit mehr als 50 Ländern für polio-frei. Das Ziel, Polio weltweit auszurotten, wurde bislang aber nicht erreicht. Angesichts internationaler Polio-Ausbreitung erklärte die WHO am 5. Mai 2014 eine „Gesundheitliche Notlage mit internationaler Tragweite“.
Es gibt neben dem Wildvirus auch Einzelfälle, bei denen eine abgeschwächte Erkrankung durch Lebendimpfstoff ausgelöst wird. Weltweit waren es nach WHO-Angaben in zehn Jahren weniger als 800 Fälle. In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) deshalb seit 1998 den Einsatz inaktivierter Polio-Vakzine. Der Schlüssel zur Polio-Ausrottung ist das Ende des Wildvirus, sagte Oliver Rosenbauer von der Polio-Ausrottungsinitiative der WHO laut "Deutscher Presse-Agentur" im Juni dieses Jahres. Wenn der nicht mehr zirkuliert, seien Impfungen nicht mehr nötig und die Gefahr von Impfpolio damit beseitigt. "Solche Impftypen entwickeln sich nur dort, wo nicht genügend geimpft wird", sagte er.
Wo gab es aktuell Polio-Nachweise?
Bis vor Kurzem zirkulierte das wilde Poliovirus praktisch nur noch in Pakistan und Afghanistan, mit je einer Handvoll Fällen. Aber 2022 wurden erstmals seit 2016 wieder Fälle in Malawi gemeldet - und in Mosambik, eingeschleppt vermutlich aus Pakistan. Afrika war erst 2020 als polio-frei deklariert worden. Auch in der WHO-Europaregion, die sich von Turkmenistan bis nach Israel erstreckt, kommt es immer mal zu vereinzelten Fällen. Für Diskussionen sorgen seit einigen Wochen Fälle in den USA. Auch dort galt die Krankheit eigentlich als ausgerottet. Dann wurden im Sommer einzelne Polio-Fälle in der Millionenmetropole New York bekannt. Nach weiteren Nachweisen von Polioviren im Abwasser rief New Yorks Gouverneurin Kathy Hochul den bundesstaatsweiten Katastrophenfall aus. Auch in Großbritannien gab es Nachweise in Kläranlagen. In Israel gab es im März 2022 einen Polioausbruch, bei dem ein ungeimpftes Kind Lähmungen entwickelte. Experten sehen zu niedrige Impfquoten als Grund.
Welche Empfehlung gilt hinsichtlich der Impfung gegen Polio in Deutschland?
Eine Impfung gegen die Kinderlähmung gibt es erst seit den 1950er-Jahren. Für die Impfung gegen Kinderlähmung wird in Deutschland heute ein Totimpfstoff eingesetzt, keine Lebendimpfstoffe mehr. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Polioimpfung für Kinder im Alter von zwei, drei, vier und elf bis 14 Monaten. Oft wird ein Sechsfachimpfstoff eingesetzt, der auch noch gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Haemophilus influenzae Typ b und Hepatitis B schützt. Die Auffrischungsimpfung gibt es dann im Alter von neun bis 16 Jahren. Wer sich erst als Erwachsener gegen Polio impfen lässt, braucht nach zehn Jahren eine Auffrischungsimpfung, um den Schutz zu vervollständigen.
Der Virologe Alexander Kekulé sagte dem "Mitteldeutschen Rundfunk" (MDR), er halte die Polio-Impfquote in Deutschland für hoch genug. Sie lag zuletzt bei 92,8 Prozent. Dennoch könnten kursierende Viren aus den Polio-Impfungen mit Lebendimpfstoffen ein Problem sein, so der Virologe zum MDR. Diese Impfstämme könnten Ungeimpfte infizieren. Wenn man aber eine Impfquote von über 90 Prozent habe, "dann hat man so eine Art Herdenimmunität, dass die nicht längere Zeit zirkulieren können". Kekulé riet dazu, auch in Deutschland das Abwasser zu überwachen, so wie es aktuell in den USA geschehe. (anwi/dpa)
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