Kreis Gütersloh. Die Zahlen sind alarmierend: Fast jede Nacht versuchen Kriminelle in Deutschland, Geldautomaten zu sprengen – mal mit Erfolg, mal mit weniger. Allein in NRW, das mittlerweile eine Art Hotspot zu sein scheint, zählte die Polizei im ersten Halbjahr mehr als einhundert Fälle, davon zwei im Kreis Gütersloh.
Dass dabei bisher kaum Anwohner oder Passanten verletzt wurden, grenzt an ein Wunder. Doch das könnte sich ändern: Aktuell nämlich warnt das Landeskriminalamt NRW (LKA) vor neuen Sprengmitteln mit deutlich höherer Sprengkraft.
Neue Methode ist auch für die Nachbarn eine „ernsthafte Gefahr"
Laut LKA sind die professionell agierenden Tätergruppen durch die verbesserte Sicherheitstechnik an den Automaten inzwischen dazu übergegangen, nicht mehr auf ein explosives Gasgemisch zu setzen, das sie in die Automaten einleiten, sondern auf echten Sprengstoff. 49 solcher Detonationen zählten die Ermittler im ersten Halbjahr 2020 in NRW.
Auch bei der gescheiterten Sprengung eines Volksbank-Automaten in Steinhagen Anfang Juni wäre Sprengstoff zum Einsatz gekommen. Laut Polizei hatten die Täter am Automaten einen zigarrenkistengroßen Kasten mit Festsprengstoff befestigt, den sie elektronisch zünden wollten, wobei sie jedoch gestört wurden und flüchteten.
„Uns bereiten diese Tatausführungen große Sorgen, weil sie noch gefährlicher sind und beträchtliche Gebäudeschäden verursachen können", sagt Thomas Jungbluth, Abteilungsleiter für Organisierte Kriminalität beim LKA. Die Gefahr für Nachbarn schätze man daher als „ernsthaft" ein, weswegen man in der tatrelevanten Zeit zwischen 23 und 6 Uhr die Schließung von jenen Automaten empfiehlt, „die sich im Bereich von Gebäuden mit Wohnnutzung befinden".
Fast alle SB-Zonen nachts geschlossen
Volksbanken und Sparkassen im Kreis sind auf Nachfrage dieser Zeitung vom LKA über die aktuelle Lage informiert worden. Da das Phänomen der Geldautomatensprengungen erstmals 2005 auftrat und somit nicht neu ist, kann man in vielen Foyers bereits seit geraumer Zeit nachts kein Geld mehr abheben. Schon 2018 habe sich die Sparkasse entschlossen, alle SB-Bereiche in der Zeit zwischen 0 und 5.30 Uhr zu schließen, berichtet Sprecher Matthias Trepper.
Diesem Beispiel folgte nun auch die Volksbank, seit 1. August und wohl auch als Konsequenz zur versuchten Sprengung in Steinhagen sind kreisweit fast alle SB-Zonen zwischen 23 und 5 Uhr geschlossen. „Wir nehmen das Ganze sehr ernst", sagt Volksbank-Pressesprecher Dennis Will. „Die Sicherheit unserer Kunden, Mitarbeiter und Anwohner ist uns wichtig, gleichzeitig aber auch, dass eine Bargeldversorgung in der Region gewährleistet ist." Daher seien in den SB-Foyers die Filialen, in denen weiterhin rund um die Uhr Bargeld abgeholt werden kann, ausgewiesen.
Videoüberwachung, Verneblungsanlagen und Co.

Dort gibt es natürlich eine eine Reihe von Präventionsmaßnahmen wie beispielsweise Videoüberwachung, Erschütterungsmelder, Verneblungsanlagen, Einfärbesysteme für Geldscheine oder Gas-Safe-Systeme, die nicht nur einen stillen Alarm auslösen, sondern das eingeleitete Gasgemisch neutralisieren,indem chemische Stoffe im Automaten freigesetzt werden. Welche genau eingesetzt werden, darüber schweigt sich die Branche aus guten Gründen aus.
Ein Sprecher der Deutschen Bank – der Geldautomat am Stohlmannsplatz wurde im Juni 2018 gesprengt – bringt es auf den Punkt: „Natürlich sagen wir nichts zu Einzelmaßnahmen, schließlich lesen auch Geldautomatensprenger Zeitung." Man stehe aber in regelmäßigem Kontakt mit der Polizei und den Sicherheitsbehörden.
Wer sind die Täter – und woher kommen sie?
Doch wer sind die Täter und woher kommen sie? Ermittlungen der Ermittlungskommission „Heat" des LKA NRW haben ergaben, dass die Täter überwiegend aus marokkanischen-niederländischen kriminellen Gruppen stammten, die vorwiegend in und um Utrecht, Arnheim und Amsterdam leben.
„Die Täter sind 18 bis 35 Jahre alt und verfügen über eine sehr hohe kriminelle Energie und Professionalität", erklärt Thomas Jungbluth vom LKA. Die Täter hätten umfangreiche Erfahrungen mit der Arbeit der Polizei gesammelt und reagieren äußerst sensibel auf polizeiliche Maßnahmen. Die niederländische Polizei schätzt den Kreis auf rund 300 bis 400 Personen – die unmittelbare Nähe zu NRW erklärt somit auch die vergleichsweise hohe Zahl von Sprengungen im Vergleich zu anderen Bundesländern.
Etliche Millionen Euro erbeutet
Laut Jungbluth flüchten die Kriminellen dann bevorzugt mit hochmotorisierten gestohlenen Autos der Marke Audi und zeigen ein extrem rücksichtsloses Fluchtverhalten.
Sie erbeuteten auf diese Weise in den vergangenen Jahren etliche Millionen Euro. Gleichzeitig richteten sie in NRW Sachschäden in Millionenhöhe an – laut Jungbluth allein in diesem Jahr bereits an die fünf Millionen Euro.
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