Tatort-Star Joe Bausch: „Jeder begegnet in seinem Leben 31 Mördern“

Joe Bausch ist Gefängnisarzt, Tatort-Darsteller und Krimiautor. Am 8. April kommt er nach Steinhagen. Vorab erzählt er, was man hinter Gittern für’s Leben lernt.

von Jonas Damme

Welches Buch lesen Sie gerade?

Joe Bausch: »Blut will fließen« von James Ellroy. Das ist harter Stoff, aber verdammt gut recherchiert. Und man lernt viel über die USA in den 70er Jahren.

Sie bevorzugen selbst Krimis?

Bausch: Man sieht an so einem Buch, dass gute Krimiautoren gute Schriftsteller sind und auch große Literatur fertig bringen.

Also keine Liebesgeschichten für Sie?

Bausch: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich überhaupt je einen Liebesroman gelesen hätte. Aber ich mag auch Biografien. Hauptsache es ist gut recherchiert – nicht nur reiner Thriller, nur Crime.

Schreiben Sie so, wie Sie lesen?

Bausch: Meine Texte haben auch gesellschaftspolitische Bedeutung. Jede der Geschichten transportiert auch einen sachlichen Kontext. In »Altes Eisen« geht geht es zum Beispiel um die Zunahme bei der Alterskriminalität, in einer anderen Geschichte um psychisch Kranke in Haft. Mein Anspruch ist, mehr als Thrill zu liefern, den größeren Fächer aufzumachen. Bei meinen Lesungen nenne ich das, das »Bonusmaterial«.

Kritiker werfen Krimilesern Voyeurismus vor ...

Bausch: Ich glaube, dass ich alle meine Geschichten weggeholt habe von den Blutpfützen. Ich habe den Opfern ihre Würde gelassen und beschreibe nur, was man wissen muss. Wirklich solide Krimis liest man nicht aus der Lust am Blut. Da halte ich mich auch an das, was ich beim Theater gelernt habe: Die Vorstellungskraft des Menschen lässt sich sowieso durch nichts toppen.

Sie interessiert also das Psychologische?

Bausch: Der psychologische Moment. Es soll nicht schocken, das ist kein Splatter. Es ist harter Stoff, weil es tragisch ist.

Warum schreiben Sie überhaupt über diese tragischen Verbrechen?

Bausch: Ich wurde schon oft gefragt, ob ich von meinem Job abends etwas mit nach Hause nehme: Ja. Und das sind zwölf Beispiele dafür. Alle haben mich bewegt.

Geht es auch darum, die Schwächen des Rechtssystems zu zeigen?

Bausch: Ja klar. In »Unter dem Radar« geht es um jemanden, der niemals raus darf. Es gibt Menschen, die tatsächlich zu Unrecht im Knast sind. In westlichen Gefängnissen sitzen mehr psychisch Kranke als in den Psychiatrien. Das hat auch was mit unserer Gesellschaft zu tun, damit, dass die Akzeptanz von psychisch Kranken abnimmt.

Glauben Sie denn an unser Rechtssystem?

Bausch: Ich glaube schon an unser Rechtssystem. Ich kann mir zumindest kein besseres vorstellen. Das entlässt uns aber nicht daraus, zu überlegen, wo wir nachjustieren müssen. Wie passen wir unseren Strafvollzug auf die Leute im Knast an? Das passiert viel zu langsam.

Mal was anderes: Sie spielen im Kölner Tatort den Rechtsmediziner. Wie realistisch ist der ARD-Tatort?

Bausch: Der Fernseh-Tatort ist oftmals deutlich spannender als das reale Verbrechen. Das ist nämlich meistens ziemlich banal. Es ist nicht so verwinkelt, es gibt keine falschen Spuren.

Welcher ist denn ihr Lieblingstatort?

Bausch: Natürlich Köln. Aber direkt danach kommt schon Münster. Dort berate ich eines der Autorenteams. Was ich in Köln nicht machen darf, lasse ich Professor Dr. Boerne machen. Ich gucke mir aber auch Til Schweiger in Hamburg an. Das muss man mal gesehen haben, um zu wissen, was heute noch funktioniert.

Würden Sie selbst gerne mal einen rein fiktionalen Thriller schreiben?

Bausch: Absolut. Dann bist du ja aller Sorgen ledig, musst dich an nichts halten. Außer an die Struktur und die Fantasie. Ich habe da noch zwei Sachen, die ich noch nicht verarbeiten konnte. Da könnte noch was kommen.

An einen, der es wissen muss: Kann jeder zum Mörder werden? Oder gibt es grundlegende Unterschiede zwischen Menschen, wie Ihnen und mir und Mördern?

Bausch: Nicht bei allen Mördern. Mord zeichnet sich ja durch besondere Heimtücke aus. Jeder von uns kann in die Situation gebracht werden, jemanden umzubringen. Aber nicht in jedem von uns steckt ein Mörder.

Widerspricht sich das nicht?

Bausch: Um ein Mörder zu sein, muss man laut Definition niedrigen Beweggründen folgen, aus Lust am Morden oder aus einer psychopathischen Motivation. Wir kokettieren damit, zu sagen: Ich könnte jemanden umbringen! Aber dem ist nicht so. Was Fritz Honka (berüchtigter Hamburger Serienmörder, Anm. d. Red.) gemacht hat, könnte mir nicht passieren.

Was macht denn den Unterschied aus?

Bausch: Zuwenig Zuwendung? Zuwenig Resilienz? (die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen, Anm. d. Red.). Keine Menschen, die sich ins Zeug werfen, einen wenn nötig zu retten. Es ist auf jeden Fall nicht nur genetisch disponiert.

Hat sie die Tatsache, dass sie viel Zeit mit Mördern und Kriminellen verbracht haben, verändert?

Bausch: Statistisch begegnet jeder von uns in seinem Leben 31 Mördern. Ich weiß nicht, ob das zutrifft. Für mich ist das eher eine Wochenausbeute. Aber die Menschen sind nicht schlecht. Ich habe mein positives Menschenbild in 32 Jahren Knast nicht verloren.