
Steinhagen. Ursprünglich sollte Ende 2016 eine Dokumentation über die Geschichte Steinhagens in der Zeit von 1933 bis 1945 erscheinen, dann wurde der Termin auf 2017 verschoben. Auch dieses Ziel konnte krankheitsbedingt und aufgrund immer neuer Recherchearbeiten nicht eingehalten werden. Historiker Dr. Jürgen Büschenfeld, der von der Gemeinde Steinhagen mit dem Projekt beauftragt wurde, kündigt die Veröffentlichung im Gespräch mit dem Haller Kreisblatt jetzt für kommenden Sommer an.
„Im Landesarchiv Detmold hat sich ein neuer Archivbestand aufgetan, den ich unbedingt berücksichtigen wollte; auch das Westfälische Wirtschaftsarchiv in Dortmund habe ich für die Dokumentation noch einmal besucht", berichtet Dr. Jürgen Büschenfeld. „Nur fünf bis zehn Prozent aus den Archivrecherchen können überhaupt verwendet werden. Die Ergebnisse müssen zusammengepuzzelt und einzeln noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden", gibt der Historiker Einblick in seine Arbeit. Schwierig gestalte sich zudem die Suche nach Bildmaterial. „Im Stadtarchiv Halle etwa gibt es nur Negativfilme, die erst entwickelt werden müssten."
Inhaltlich dürfte die Dokumentation, die in Buchform veröffentlicht werden soll, spannend werden und neue Details über die Zeit des Nationalsozialismus zutage fördern. In fünf Kapiteln arbeitet Büschenfeld Steinhagens Historie auf. Jedem Kapitel wird eine kurze Beschreibung der allgemeinen politischen Situation vorangestellt, bevor sich der Fokus auf die Gemeinde richtet. „Geschichte wird dann greifbar, wenn sie Gesichter und Namen bekommt", so Dr. Büschenfeld zu seiner Herangehensweise.
Zu den Quellen, mit denen er arbeitet, gehören zum Beispiel die Lageberichte des damaligen Bürgermeisters des Amtes Halle, Meyer zu Hoberge. „Da bekommt man einen ganz guten Einblick, was damals die Themen im Amt Halle waren, zu dem auch Steinhagen, Amshausen und Brockhagen gehörten", so Büschenfeld.
Auch die für Steinhagen existenzielle Brennereigeschichte spart der Historiker nicht aus. 2,5 Millionen Liter Schnaps sollen die heimischen Brennereien während des Kriegs pro Jahr produziert haben. „Steinhagen war der Ort im Deutschen Reich, in dem am meisten Schnaps gebrannt wurde", so Dr. Jürgen Büschenfeld. Zwar seien die Wirtschaftsakteure nicht Mitglied in der NSDAP gewesen, hätten ihren wirtschaftlichen Vorteil aber zumindest erkannt.
»Schreiende Ungerechtigkeit, die benannt werden muss«
Zum Umgang mit den Juden im Ort hat Büschenfeld ebenfalls geforscht. Die Erkenntnisse daraus beschreibt der Historiker als „sehr beklemmend". Dreh- und Angelpunkt dieses Aspekts ist der Brandanschlag auf das Haus der jüdischen Familie Hurwitz in Brockhagen. Vier Männer legten am 11. November 1938 in dem Gebäude Feuer. Das Haus brannte ab, die Familie wurde heimatlos. Das Thema hatte bereits im Vorfeld des Projekts für einen politischen Disput gesorgt. Während SPD, Grüne und FDP dafür eintraten, dass sich Steinhagen seiner Vergangenheit stellt, hatte sich die CDU gegen die NS-Dokumentation ausgesprochen mit der Begründung, sie würde alte Wunden im Ort aufreißen und Zwietracht säen zwischen den Nachfahren der genannten Personen.
Tatsächlich birgt genau dieses Kapitel über das Schicksal der jüdischen Familie in Brockhagen brisante Details. Etwa jenes, wonach sich ein verurteilter Anstifter zum Brandanschlag nach dem Krieg einen zweifelhaften Freispruch erkämpft habe, so Büschenfeld. Er spricht von „schreiender Ungerechtigkeit", die benannt werden müsse. Das gilt ebenso für den Umgang mit Fremd- und Zwangsarbeitern während des Kriegs an der Heimatfront, dem der Forscher ein eigenes Kapitel widmet.
Laut Petra Holländer von der Steinhagener Gemeindeverwaltung ist neben der Herausgabe des Buches eine Ausstellung angedacht, die in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Geschichte des Heimatvereins Steinhagen umgesetzt werden könnte. Für das gesamte Projekt hat die Gemeinde Steinhagen 24 000 Euro bereitgestellt.