Der WochenkommentarZukunft alter Häuser im Altkreis Halle: Zerstören wir unser Kulturgut?

In diesen Tagen gibt es an mehreren Stellen Diskussionen um die Zukunft historischer Immobilien. Wehmut ist angebracht, darf aber nicht den konstruktiven Blick auf die Zukunft verstellen.

Marc Uthmann

Das Berghotel Quellental hat am 23. April zum letzten Mal geöffnet. Die Perspektive des altehrwürdigen Hauses ist ungewiss. So geht es derzeit vielen alten Immobilien. - © Frank Jasper
Das Berghotel Quellental hat am 23. April zum letzten Mal geöffnet. Die Perspektive des altehrwürdigen Hauses ist ungewiss. So geht es derzeit vielen alten Immobilien. © Frank Jasper

Halle. In den vergangenen Wochen habe ich mit Begeisterung eine Serie gestreamt. Auf Amazon Prime gibt es "Daisy Jones & The Six", die Geschichte über Aufstieg und viel zu frühen Fall einer Rockband Mitte der 1970er Jahre. Tolle Musik, faszinierende Bilder im Stil einer vergangenen Zeit, die ich noch gar nicht erlebt habe - farbenprächtige Nostalgie über eine legendäre Epoche.

Eine gewisse Melancholie mit Blick auf das Vergangene liegt in diesen Tagen auch über dem Altkreis Halle. Womöglich versperrt sie den Blick auf eine konstruktive Zukunft.

Irgendwie scheint es uns allen etwas zu bedeuten: das Vergangene. Weil es uns etwas über unsere Herkunft verrät? Weil es mit schönen Erinnerungen verbunden ist? Ganz sicher, weil es mit Sicherheit auch das Fundament für unsere heutige Gesellschaft bildet. Und weil das Historische mancherorts einfach schön ist.

Steinhagener Hotel atmet den Charme der 1950er-Jahre

Zu besichtigen im sagenumwobenen Berghotel Quellental in Steinhagen. Ein Ort, der einst im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens stand. Wo die Reichen und Wichtigen abstiegen. Und in dem in den 1950er Jahren die Zeit stehengeblieben scheint. Ein Besuch wird so zur wunderbaren Zeitreise. Nun wollen Hotelchefin Margot Vollmer und Kultwirt Eddy Hufenbach - der mit der Fliege - nicht mehr weitermachen. Angesichts des Alters des Duos ist das absolut nachvollziehbar, doch wird definitiv eine Ära enden.

Das bewegt viele Menschen, die schöne Erinnerungen mit dem Berghotel verbinden und zugleich um die Perspektive einer prächtigen Immobilie fürchten. Diese Reaktionen sind übrigens nicht auf das Quellental beschränkt. Unsere Leser fasziniert das Alte: egal, ob wir über eine geheimnisvolle Ruine in Borgholzhausen berichten oder über Pläne mit betagten Gebäuden.

Halle ist in dieser Hinsicht gleich mehrfach bewegt: An der Langen Straße droht mehreren Häusern der Abriss, um Platz für Neues zu machen. Eine Interessengemeinschaft kämpft für die Rettung der Häuser.

Direktoren-Villa mit Dienstbotenknopf in Halle

Und vor kurzem wurde bekannt, dass die alte Direktoren-Villa des Krankenhauses einem Wohnbauprojekt weichen soll - es wäre der echte Abschied von einem Relikt vergangener Zeiten mit Bunker und Dienstbotenknopf.

Was aber folgt, wenn wir das Alte verschwinden lassen: viel zu oft einförmiger Mietwohnungsbau in der immer gleichen Kastenform. Das Individuelle, Besondere der alten Häuser wird durch Einheitsbrei ersetzt. Und mit der historischen Bausubstanz geht auch ein Stück Inspiration für die Zukunft verloren.

Das Problem hat indes auch noch eine andere Seite. Denn oftmals beginnt das laute Wehklagen erst dann, wenn sich Veränderungen ankündigen. Das Berghotel Quellental ist wohl nicht umsonst in den 1950ern steckengeblieben und überlebte nur dank der Hingabe des besonderen Duos in der Führung.

Alte Häuser haben lange vor sich hingegammelt

Die historisch so wertvollen Häuser an der Langen Straße haben über Jahrzehnte vor sich hingegammelt, weil niemand etwas Konstruktives mit ihnen anfangen konnte oder wollte. Wer jetzt den Erhalt fordert, muss dabei auch wirtschaftliche Perspektiven bedenken.

Gleiches gilt für die Direktoren-Villa. Der Eigentümer muss sich doch zwingend der Frage stellen, wie er seinen Besitz in die Zukunft führt, wie er ihn rentabel hält - damit er ihn eben nicht aufgeben muss. Und mal ganz grundsätzlich: Zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, ist eines der dringendsten Erfordernisse unserer Gesellschaft. Wenngleich neue Nobelwohnungen wohl kaum das Problem lösen, das wir mit Wohnungsmangel verbinden.

Also: Argumentation zu Ende, Urteil gefällt? Sollen sich doch all die Nostalgiker nicht so anstellen, die Welt dreht sich eben weiter, und das muss auch so sein. Macht schnell noch ein paar Fotos und dann Platz für die Zukunft.

Es braucht mutige Ideen - und Geld

Wer so dächte, würde keine Serien über 70er-Jahre-Rockbands streamen. Denn natürlich ist das wunderbar Individuelle unserer historischen Gebäude erhaltenswert. Und beim Berghotel Quellental in Steinhagen ist das Urteil über die Zukunft der Immobilie ja auch noch nicht gefallen.

Was es jetzt braucht, sind weitsichtige Ideen, die auch eine wirtschaftliche Perspektive für besondere Häuser mit bedenken. Mein Kollege Frank Jasper hat eine so liebevolle wie facettenreiche Abschiedsgeschichte zum Quellental verfasst. Und in der HK-Kaffeeküche gleich seine Vision präsentiert: Ein 50er-Jahre-Wirtschaftswunder-Hotel in Steinhagen. Dorthin würden sicher auch weiter Jugendliche kommen, um in der alten Telefonzelle Tik-Tok-Videos zu drehen.

Problem nur: Mein Kollege hat noch nicht im Lotto gewonnen ... Menschen mit Mut, Geld und Weitsicht sind also gefragt - dann hat das Historische auch eine Perspektive für unsere Zukunft.

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