Der WochenkommentarWettstreit um Landärzte im Kreis Gütersloh: Geld allein wird nicht genügen

Die Versorgungsnot bei den Allgemeinmedizinern wird immer größer. Jetzt überbieten sich die Kommunen mit Prämien, um junge Ärzte zu ködern. Warum das der falsche Weg ist.

Marc Uthmann

Das Gesundheitssystem blute finanziell aus, sagen die Hausärzte aus dem Kreis Gütersloh. - © Verwendung weltweit
Das Gesundheitssystem blute finanziell aus, sagen die Hausärzte aus dem Kreis Gütersloh. © Verwendung weltweit

Wenn ich bei meinem Hausärzte-Team in die Praxis komme, dann ist da dieses eine Geräusch, das nie aufhört: das Telefonklingeln. Es läutet ohne Unterlass, und ich bin immer wieder beeindruckt, wie stressresistent die Mitarbeitenden das Pensum bewältigen. Was bleibt ihnen anderes übrig, bei weit mehr als 3.000 Patienten? Alltag in einer Landarztpraxis.

Allgemeinmediziner sind Mangelware - und die Stadt Halle will der Misere jetzt mit einem Förderprogramm begegnen. 50.000 Euro stehen bereit, um die Ansiedlung in der Lindenstadt schmackhaft zu machen. Die Stadt betont, dass sie bei erhöhter Nachfrage auch noch Haushaltsmittel drauflegen würde. Das sei ein "Wettbewerbsvorteil".

Nun ist er also offen entbrannt, der Kampf unter den Kommunen um die begehrten Hausärzte: Versmold fördert eine Praxisansiedlung bereits mit bis zu 35.000 Euro - zusätzlich zu den pauschalen Förderungen von jeweils bis zu 50.000 Euro, die vom Land und der Kassenärztlichen Vereinigung spendiert werden. Nur scheint es nicht so, als würden diese Summen das Problem nachhaltig lösen. Von einer Flut neuer Arztpraxen ist in Versmold bislang jedenfalls nichts bekannt. Aktuell sind sieben der dortigen zwölf Allgemeinmediziner älter als 60 Jahre.

Bürokratie belastet die Arztpraxen

Der Geldwettstreit wird also nicht den Durchbruch bringen. "Da bräuchte es wohl eher eine Million als 50.000 Euro", sagt etwa der Versmolder Allgemeinmediziner Dr. Eckart Happich. Dass die Not groß ist, wird allerdings wohl keine Hausärztin und kein Hausarzt im Kreis Gütersloh bestreiten. Sechs Kommunen gelten nach der Definition der Kassenärztlichen Vereinigung als unterversorgt - unter ihnen Halle und Versmold. Und zwar sowohl im Vergleich mit der Situation in Westfalen-Lippe insgesamt als noch krasser mit Blick auf den Bundesschnitt.

900 Patienten betreut ein durschnittlicher deutscher Hausarzt, 1.800 wären es bei einem Duo - der Blick auf die mehr als 3.000 Patienten bei meiner Praxis zeigt, wie groß die Versorgungsnot mittlerweile ist. Und die ist aus Sicht vieler praktizierender Medizinerinnen und Mediziner nicht mit Ansiedlungsprämien zu lösen. "Hausärzte müssten, was Einkommen und Bürokratie angeht, den Fachärzten gleichgestellt werden", fordert etwa Happich.

Und tatsächlich bleibt bei den Allgemeinmedizinern die Basisarbeit hängen. Sie kommunizieren mit Kranken- und Rentenkassen, verteilen die Patienten weiter. Die Krux: Je größer die Praxis, desto mehr belastet die Bürokratie. Und je weniger Hausärzte es gibt, desto größer werden die Praxen. Wer will sich das noch antun?

Medizinische Fakultät als Chance

Unsere Hausärzte jedenfalls tun es weiterhin gern. "Ich finde, es ist eine Berufung, weil ich den Menschen ungefiltert kennenlerne und in allen Bereichen unterstützen kann", sagt Happich. Und findet Bestätigung bei Josef El Shamsy aus Hörste: Er könne sich keinen befriedigenderen Beruf vorstellen.

Klingt toll. Aber was läuft dann schief? Warum kommt das bei jungen Medizinerinnen und Medizinern nicht mehr an? Weil sie offenbar gar nicht erst reinwollen in das Hamsterrad der ständigen Verfügbarkeit, weil sie mehr Zeit für Freizeit und Familie einfordern. Da scheint die Perspektive als angestellter Mediziner oder Facharzt viel attraktiver. So logisch das klingt, akzeptabel ist diese Entwicklung nicht. Weil ohne die Basis der Allgemeinmediziner die Gesundheitsversorgung auf dem Land zusammenbräche.

Die neue medizinische Fakultät der Universität Bielefeld ist immerhin ein Hoffnungsträger. Dass die Steinhagener Praxis Müller/Metzner jetzt Lehreinrichtung für Studierende ist, ist eines der Projekte, die junge Mediziner für den Beruf begeistern könnten. Wenn sie sich dann nicht eine großstadtnähere Praxis suchen, könnte auch der Kreis profitieren.

Telemedizin als Teil der Gesundheitsversorgung

Und was ist mit der Telemedizin? Sie wird sicher ihre Rolle spielen - allerdings müsste der Landarzt dann auch Zeit für die digitale Sprechstunde finden. Und hoffen, dass parallel nicht noch ein Notfall reinkommt ...

Eckart Happich hat eine fast romantische Hoffnung: "Wir müssen darauf setzen, dass ein junger Mediziner oder eine junge Medizinerin vielleicht der Liebe wegen in unsere Stadt kommt." Ich hoffe derweil, dass mein Praxisteam den Stress noch lange durchhält - und dass es noch mehr Ideen gibt als Geldprämien, um für einen so wichtigen Beruf zu werben. Vielleicht sollte man unsere Landärzte als Botschafter durch das Land schicken - ihre Berichte könnten bestimmt viele Studierende begeistern. Aber Moment - dafür haben sie ja gar keine Zeit ...

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