Auf den Fluren stehen Europaletten mit Zeitungsbänden aus 140 Jahren „Haller-Kreisblatt"-Geschichte. Eingewickelt in Folie und sortiert nach Jahrgängen sind sie in den langen Gängen geparkt und warten darauf, in der nächsten Woche an ihren neuen Standort geschafft zu werden. In den Büros stapeln sich die Umzugskartons gefüllt mit Aktenordnern, Bildern und Büchern, Schreibgeräten und ein paar persönlichen Dingen seit Wochen. Umzugsaufkleber in blassem Rot überall.

Sie kleben auf den großen Tafeln an den Wänden. Ebenso an Lampen und Schreibtischen und Bildschirmen, ja, sogar an Grünpflanzen. Sie heften an Kisten mit Abzügen, Negativen und Karteikästen, die allesamt auch dokumentieren, auf welche Weise sich die Art, Zeitung zu machen, in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat: Umzugsstimmung an der Gutenbergstraße 2. Nach fast 40 Jahren in dem Verlagshaus in Gartnisch zieht das „Haller Kreisblatt" aus. Und in einen Flügel der benachbarten Gerry Weber International AG ein.
Tausende Fotos und hunderte historischer Zeitungsbände werden demnächst in einem Kellerraum des mächtigen Gebäudekomplexes untergebracht. Je nach Alter und Wert sortieren wir sie wahlweise in Schwerlastregale oder feuerfeste Stahlschränke zurück. Die Logistik des HK bekommt einen neuen Aktionsbereich bei dem international agierenden Haller Modehersteller. Medienberater und Redaktion beziehen die zweite Etage mit Blickrichtung Innenstadt.
Altes landet auf dem Müll, trotzdem kommt Wehmut auf
Dort oben entsteht eine neue, modern eingerichtete Zentralredaktion. Von dort aus werden künftig die Redaktionen für den Altkreis Halle enger zusammenarbeiten, um das Online-Angebot für Halle, Werther, Borgholzhausen, Versmold und Steinhagen in einem Newsroom noch weiter auszubauen. Die Redaktion aus Steinhagen wird am Standort Halle integriert. Die Redaktion in Versmold hat kürzlich erst neue Räume in Versmold bezogen und bleibt auch dort.
Geschäftiges Treiben, viele Telefonate, noch mehr E-Mails, manche Besprechung und natürlich die ganzen Geräusche, die mit dem Aufräumen und dem Abbau so verbunden sind, begleiten uns auf dem Weg dorthin seit geraumer Zeit. Wir sichten und sortieren aus. Doch so oft man überzeugt war, dass Zeitungshalter, vergilbte Urkunden oder die alten Tische und Stühle aus der Kaffeeküche sicher niemand mehr benötigt – wenn sie denn so nach und nach aus dem Gebäude getragen und in einer Mulde entsorgt werden, kommt doch Wehmut auf.
Fast ein wenig vorwurfsvoll liegen die Sachen auf dem Müllhaufen. Und bei aller Vorfreude auf die modernen Büros bin ich bei ihrem Anblick schon nachdenklich. Und empfinde erst recht Beklommenheit, wenn ich schließlich im Zickzackkurs über den Parkplatz zum Auto gehe. Zickzackkurs deshalb, weil hier mittlerweile alles voller Container steht.
Starkes Zeichen der Stadt Halle im Umgang mit Geflüchteten

Diese Container hat die Stadt Halle aufgestellt. Sie ist bekanntlich neue Besitzerin der Immobilie und hält sie fortan für Geflüchtete vor, die kurzfristig bei uns erwartet werden. Während der alte Verlag ebenso zeitnah wie zügig umgebaut und hergerichtet wird, können die Container draußen als Küchen und Bäder genutzt werden. Und dass sich Halle für diesen Weg entschieden hat und nicht etwa auf Sporthallen oder Zelte bei der Unterbringung von Ukrainern und anderen Menschen in Not setzt, empfinde ich als starkes Zeichen. Das bedrückende Gefühl kommt auch vielmehr dann auf, wenn ich an das Leid jener denke, die kurz vor der Flucht stehen oder sich bereits auf den Weg zu uns gemacht haben.
Welche Ängste stehen sie gerade aus? Welchen Risiken sind sie in diesem Augenblick ausgesetzt, welche Entbehrungen nehmen sie in Kauf, welche Strapazen in der Hoffnung auf ein Leben in Freiheit und Frieden? Auch dann, wenn sie dafür ihre Heimat und Häuser, ihre Familien und ihre Freunde zurücklassen müssen? Wir sehen ihre Bilder in den Nachrichten und im Netz, wir lesen ihre Geschichten, manchmal werden sie uns vorgetragen. Meistens kennen wir sie nicht, manchmal aber doch. Noch in der vergangenen Woche erzählte mir ein Haller Familienvater von seiner Flucht aus dem Iran. Zwar ist die schon 40 Jahre her, hat aber an Dramatik und der Tragödie nichts an Aktualität verloren.
Und so wünsche ich allen Menschen, die demnächst unsere bisherigen Redaktionsräume beziehen, dass sie ihnen Glück bringen mögen. Und ein erträglicher Zwischenstopp sind auf dem Weg in ein neues Leben in Frieden und Freiheit.
Alle Folgen unseres Wochenkommentars finden Sie hier.
Um Ihren Kommentar abzusenden, melden Sie sich bitte an.
Sollten Sie noch keinen Zugang besitzen, können Sie sich hier registrieren.