Bielefeld. „Wir bleiben zu Hause!" so lautet die aktuelle Maxime für die meisten. Nur in einem Fall müssen wir alle raus – zum Einkaufen. Nachrichten aus Italien und Spanien haben bei vielen Angst ausgelöst, entsprechend zahlreich sieht man inzwischen Kunden mit Plastikhandschuhen und Mundschutz durch Supermärkte ziehen. Dr. Christiane Scherer, Fachärztin für medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygienikerin am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) erklärt, wie infektiös Einkaufswagen, Bus-Türöffner und EC-Karten-Bedienfelder sind. Und welcher Schutz effektiver ist.
Ansteckungsrisiko
„Das höchste Ansteckungsrisiko haben wir eindeutig durch den direkten Kontakt zu infizierten Personen", betont die Hygiene-Expertin. Da humane Coronaviren laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nicht besonders stabil auf trockenen Oberflächen sind, ist die Kontakt- oder Schmierinfektion über Oberflächen viel weniger wahrscheinlich. Laut dem Bonner Virologen Hendrik Streeck sterben ausgehustete Viren schnell ab. Selbst in Haushalten mit hochinfektiösen Patienten waren bei Tests auf keiner der Oberflächen aktive Corona-Viren nachzuweisen.
Trotzdem kann man theoretisch Viren über Griffe, Knöpfe und Touchscreens aufnehmen, wenn sie kurz vorher ein Covid-19-Patient angefasst hat.
Es geht ums Gesicht
Aber: „Durch Anfassen von Gegenständen allein bekommt man noch keine Infektion", betont die Hygiene-Expertin. Deshalb sei es viel wichtiger, sich nicht mehr ins Gesicht zu fassen. „Das muss man richtig trainieren, weil es oft unbewusst passiert."
Jeder muss den Einkaufswagen anfassen
Die Supermärkte haben ihre Einkaufswagen als geeignetes Corona-Schutzmittel erkannt. Denn die Einkaufswagen lassen automatisch Raum zum nächsten Kunden und anhand der Zahl der Wagen kann die Menge der Kunden im Markt reguliert werden. Viele Bielefelder Märkte lassen ihre Kunden deshalb ohne Einkaufswagen nicht mehr rein. Bei manchen gilt sogar: nur eine Person pro Einkaufswagen. Einkaufen mit der Familie ist sowieso nicht mehr gestattet.Gummihandschuhe sind oft kein Schutz
Für viele Kunden sind deshalb die Griffe der Einkaufswagen ein Gräuel. Doch ohne geht es nicht. Also greifen sie zu Gummihandschuhen. Doch die, sagt Scherer, lösten das Problem nicht. „Wenn ich die Handschuhe trage, mir damit aber trotzdem unbewusst ins Gesicht fasse, habe ich den gleichen Effekt." Die Handschuhe bieten also keinen geeigneten Schutz. „Lieber sollte ich häufiger die Hände waschen."
Desinfektion der Griffe
Bei Netto in Senne wird dem Kunden ein desinfizierter Einkaufswagen gereicht, bei Edeka (Niebur) an der Langen Straße stehen Schüsseln mit Desinfektionsmittel neben den Wagen und bei Combi an der Luisenstraße steht ein Spender mit Desinfektionstüchern. Laut Combi-Marktleiter Stefan Just standen die Tücher auch vor Corona schon zur Verfügung. Aktuell sei der Verbrauch allerdings sechs Mal so hoch. Ist das eine geeignete Hilfe?
Da das Corona-Virus von einer Fettschicht umhüllt ist, lässt es sich nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung gut durch Desinfektionsmittel inaktivieren oder abtöten. Auch die Mikrobiologin Christiane Scherer begrüßt das Supermarkt-Angebot: „Das ist eine gute Idee und definitiv besser als Einweghandschuhe", sagt sie. „Man muss aber auch nicht hysterisch werden, wenn keine Desinfektion möglich ist", sagt sie.
Kleiner Finger fürs Touchpad
Die Supermärkte bitten ihre Kunden auch, auf Bargeld zu verzichten. Das schützt die Mitarbeiter, führt aber dazu, dass jeder, der mehr als 25 Euro ausgibt, am Bankkarten-Gerät seine Geheimnummer eintippen muss. Es gibt schon die ersten, die die Geräte nur noch mit einem Stift oder Schlüssel benutzen. Christiane Scherer ist das zu unpraktisch: „Ich nehme dafür gerne den kleinen Finger oder einen Knöchel." In der Regel fasse man sich mit dem Zeigefinger oder dem Daumen ins Gesicht. Der kleine Finger ist deutlich weniger gefährlich.
Bahn- und Busknöpfe
Wer mit Stadtbahn oder Bus fährt, hat oft keine Zeit für eine Desinfektion. Um die Türen zu öffnen, muss man Halteknöpfe drücken, die jeder drückt. Leser Mirco Klassen hofft darauf, dass die Fahrer in Zeiten der Pandemie einfach grundsätzlich alle Türen öffnen: „Es kostet das Unternehmen keinen Aufwand, die Türen an jeder Station zu öffnen, das Infektionsrisiko würde dadurch deutlich gesenkt." Auch die Hygiene-Expertin vom EvKB begrüßt die Idee.
Doch MoBiel-Sprecherin Lisa Teichler muss sie enttäuschen: „Diese Maßnahme wurde bereits sehr früh im Krisenstab der Stadtwerke diskutiert, konnte aber aus technischen Gründen nicht umgesetzt werden." Die Türöffnungsautomatik hätte ausgeschaltet werden müssen. Nur noch die Fahrer hätten die Türen öffnen und schließen können.
Da die Stadtbahnfahrer etwa an gekrümmten Bahnsteigen nicht alle Türen sehen können, sei das manuelle Schließen aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt. „Wir bitten deshalb, besondere Rücksicht auf andere Fahrgäste zu nehmen", so Teichler. Die Medizinerin Christiane Scherer hat auch hierfür zwei ganz praktische Tipps: „Einfach den Ellenbogen nehmen oder ein unbenutztes Taschentuch."
Mundschutz
In Österreich und in Jena dürfen Supermarkt-Kunden nur noch mit einem Mund-Nasen-Schutz einkaufen gehen, wie ihn auch Krankenhausmitarbeiter nutzen. Expertin Scherer ist hier zurückhaltend: „Ja, die Medien berichten jetzt sehr viel darüber. Entsprechend öfter sieht man die Masken auch bei uns." Aber in Korea habe man die Schutzmasken angeordnet, als das Virus hochaktiv war. „In Bielefeld sind die Infektionszahlen noch moderat."Masken sind immer nur Fremdschutz
Der Hygiene-Expertin ist sehr wichtig, dass alle wissen: „Mundschutz ist immer ein Fremdschutz und kein Eigenschutz." Das heißt, wer eine solche OP-Maske trägt, schützt damit andere vor den eigenen Sekreten und Keimen. Das ist auch ihre Funktion bei Operationen. Die Ärzte tragen sie, um den Patienten zu schützen. Einen Schutz vor Viren bieten nur Atemschutzmasken mit Partikelfilter. „OP-Masken sind also sinnvoll, wenn man Grippesymptome oder Heuschnupfen hat."
Selbstgemachte Masken reichten dafür völlig aus, sagt Scherer. Diese zu tragen seien eine nette Geste, sagen die Virologen. Die professionell gefertigten Produkte sollte man aber denen überlassen, die sie in der täglichen Arbeit viel mehr benötigen. „Sie werden ganz dringend in der Pflege, in Praxen und in Krankenhäusern gebraucht." Von privaten Anschaffungen rät die EvKB-Oberärztin daher ab.Die Kehrseite des Mundschutzes
Zumal die Masken vor Mund und Nase auch einen großen Nachteil mit sich bringen: „Das Atmen ist damit schwerer. Viele ziehen den Mundschutz deshalb immer wieder ein wenig runter und später wieder hoch. Dadurch fasse ich mir deutlich öfter ins Gesicht und erhöhe automatisch das Infektionsrisiko." Das gleiche gelte für Schals, die sich viele vor Mund und Nase halten. Doch die sitzen nicht gut und rutschen ständig, umso öfter folgt der gefährliche Griff ins Gesicht.
Kommt die Mundschutz-Pflicht?
„Ich sehe aktuell Menschen in Bielefeld, die stehen im Freien, ganz allein und tragen trotzdem so eine Maske", berichtet die Fachärztin für medizinische Mikrobiologie. Das sei nicht nötig. Eine Anordnung Masken zu tragen, sei erst zu erwarten, wenn die Durchseuchung hier deutlich größer geworden ist: „Die Frage ist: Wie lange können wir den totalen sozialen Stillstand aufrecht erhalten. Die Masken könnten eine sinnvolle Ergänzung sein, wenn es erste Lockerungen gegeben hat."

